Das große Wagnis Bürgerkrieg
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache faselte jüngst wieder vom Bürgerkrieg: „Mit der unverantwortlichen Völkerwanderung drohen leider auch in Europa Religions- und Bürgerkriege zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen.“
Dazu sei angemerkt, dass die FPÖ auffällig schwache Mobilisierungskraft hat. Selten hat sie mehr als ein paar hundert Menschen auf die Straßen gebracht, wenn sie etwa gegen Flüchtlingsheime in Liesing oder Floridsdorf in Wien mobilisiert hat. Aber das heißt nicht, dass sie künftig diese Schwäche nicht ausmerzen kann. Straches Aussage sollte uns eine Warnung sein, dass die FPÖ auch vor dem Äußersten nicht zurückschrecken wird. Aber wie sollten wir auf solche Drohungen reagieren?
Arbeitermacht
Deutschlands Sozialdemokratie war vor dem Zweiten Weltkrieg die größte und mächtigste Arbeiter_innenpartei der Welt. Es war ein Schock, als die SPD im Jänner 1933 widerstandslos der Machtübernahme Hitlers zusah. Hitler hatte kein Hehl daraus gemacht, dass die NSDAP eine Diktatur errichten würde und dass er die SPD vernichten wollte.
Zwei Monate später, die Nazis hatten längst tausende „Rote“ (vor allem KPD-Mitglieder) in Folterkeller und Gefängnisse verschleppt, gelang den Nazis ein Coup. Ein „Ermächtigungsgesetz“, das Hitler diktatorische Vollmachten gab und die demokratische Republik außer Kraft setzte, wurde mit den Stimmen der rechten Parteien im Reichstag (deutsches Parlament) beschlossen. Es war ein entscheidender Schritt zur Errichtung der NS-Diktatur. Zwei Wochen später wurde das erste Konzentrationslager errichtet und massenweise politische Gegner_innen eingesperrt.
Die Gewerkschaften waren noch intakt, das heißt die Arbeiter_innenbewegung war noch nicht entmachtet: Sie konnte noch zu ihrer stärksten Waffe, dem Generalstreik greifen. Ein Generalstreik wäre angegriffen worden und hätte zweifellos verlangt, sich zu bewaffnen. Die Frage war also, ob sich die Sozialdemokratie auf einen Bürgerkrieg mit all seinen Risiken einlassen würde!
Kampflose Kapitulation
Die gesamte deutsche Arbeiter_innenbewegung war sich der Gefahr bewusst. Die SPD hat ihren Mitgliedern über Jahre versichert, dass man den Faschisten bewaffnet gegenübertreten würde. 1924 wurde der Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet, bis Februar 1933 sind 47 Reichsbannerleute in Kämpfen mit SA und Polizei gefallen.
Hitlers SA erweckte mit 220.000 Mitgliedern zwar den Eindruck einer mächtigen paramilitärischen Organisation, aber die bewaffneten Reichsbanner-Einheiten der SPD alleine hatten 1932 mehr Mitglieder als die SA – nach Schätzungen um die drei Millionen. Zu ihrer Zahl sollte man noch die 100.000 Mitglieder des kommunistischen Kampfbunds gegen den Faschismus addieren, mit welchen man im Falle einer großen antifaschistischen Gegenoffensive hätte rechnen dürfen.
Die bewaffneten Truppen der SPD dienten letztendlich der Beschwichtigung der Arbeiter_innen und der Linken in der Partei, aber als der Moment kam, wo der Reichsbanner hätte mobilisiert werden müssen, blieben die Waffenlager verschlossen. Der SPD-Vorsitzende Otto Wels verkündete die kampflose Kapitulation im Reichstag mit den Worten: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos!“
„Lieber Wien als Berlin“
In Österreich kämpften im Februar 1934 Mitglieder des Republikanischen Schutzbunds und einfache Arbeiter_innen vier Tage gegen die Truppen der Austrofaschisten, erlitten aber eine schreckliche Niederlage. Über 1.000 Menschen dürften dabei ums Leben gekommen sein. Allerdings war alleine der Versuch bewaffnet Widerstand zu leisten, egal wie glücklos, solch ein Kontrast zu der demütigen Kapitulation der deutschen SPD, dass von 1934 an „Lieber Wien als Berlin!“ zum Schlachtruf der internationalen Antifaschist_innen wurde.
Die österreichische Sozialdemokratie hatte ganz ähnlich wie die deutsche ihre Mitglieder in der falschen Sicherheit gewogen, dass die bewaffneten Arbeitermilizen im Ernstfall gegen die Faschisten zum Einsatz kämen. Aber als der Ernstfall kam, blieben die meisten Waffenlager verschlossen. Die Illusionen in den paramilitärischen Weg waren zerplatzt.
Gegen „Soldatenspielerei“
Der Schutzbund entstand 1923, um die radikaleren Soldatenräte in kontrollierte Bahnen zu lenken. Sie wogen sich in der Illusion, es mit dem Heer und Polizei und den faschistischen Heimwehrverbänden militärisch aufnehmen zu können. Der SPÖ-Politiker Theodor Körner, ein ehemaliger Armeegeneral, verurteilte die „Soldatenspielerei des Schutzbundes“ in einer 50-seitigen Schrift. Wenn der Bürgerkrieg ausbricht, dann mache es wenig Sinn die Creme der Arbeiterbewegung in geordneter Formation auf die Straßen zu schicken – gegen Heimwehreinheiten, die hoffentlich dieselben Angriffspläne verfolgen und aus irgendeinem Grund schlechter schießen würden.
Körner war richtiggehend wütend über den Schutzbundführer Eifler, der davon ausging, er könnte Armee und Polizei dazu überreden, sich bei Kämpfen zwischen Heimwehr und Schutzbund neutral zu verhalten. Außerdem müsste man Alte, Frauen und Kinder zurücklassen. Die einzig realistische Möglichkeit war, sich auf die eigenen Kräfte zu konzentrieren – und die bestanden nicht nur im Schutzbund, sondern in der gesamten Basis der Arbeiter_innenbewegung einer Region. Um einen Bürgerkrieg zu gewinnen, so Körner, bräuchte es eine Kombination aus Partisanenkrieg und Volksaufstand, bei dem die Alten, Frauen und Kinder miteinbezogen werden.
Die Parteileitung wies Körners Kritik als Ganzes zurück und ordnete an, dass Eifler den Schutzbund entsprechend seiner eigenen Pläne vorbereiten solle. Als 1934 der Ernstfall eintrat, war die Niederlage unausweichlich. In Wien und den Industrieregionen Österreichs gab es heroischen Widerstand gegen den faschistischen Putsch, aber mit sehr vielen Opfern. Die Niederlage war vorprogrammiert, weil die Partei vor einem echten Bürgerkrieg zurückwich und stattdessen eine völlig illusorische „Soldatenspielerei“ veranstaltete. Genauer gesagt scheute die Sozialdemokratie nicht vor dem Bürgerkrieg an sich zurück, sondern von einer Kriegsführung, die ein so unkontrollierbares Element wie das Proletariat miteinbezog.
Friedlich, aber geschlagen
Die Niederlage wurde von internationalen Beobachtern vorhergesehen. Leo Trotzki, der ehemalige Anführer der russischen Roten Armee, sah die österreichische Arbeiterbewegung seit dem Juliaufstand nach dem Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 zusehends in die Defensive gedrängt. Die Parole der Parteileitung lautete: „Wir wollen eine friedliche Entwicklung. Wenn aber die Feinde den Kopf verlieren und uns angreifen, dann…“ Trotzki kritisierte das scharf: „Diese Formel sieht sehr gescheit und ‚„realistisch‘ aus. In Wahrheit ist diese Formel eine Falle für das Proletariat: sie beruhigt es, lullt es ein und betrügt es.“
Trotzki weiter: „Wenn wir gescheit, vorsichtig, nachgiebig sind, dann wird auch die Bourgeoisie loyal sein, und alles wird friedlich abgehen. Während sie dem Trugbild ‚wenn‘ nachjagten, wichen Otto Bauer und die anderen Führer der österreichischen Sozialdemokratie untätig vor der Reaktion zurück, gaben sie ihr eine Position nach der anderen preis, demoralisierten sie die Massen, wichen sie noch und noch ein Stück zurück, bis sie endgültig in der Sackgasse saßen; hier, auf der allerletzten Schanze, nahmen sie den Kampf auf und … verloren ihn.“
Unité! Unité!
In Frankreich war der Kampf gegen Faschismus im Unterschied zu den Nachbarländern auffällig erfolgreich. Am 6. Februar 1934 griffen Faschisten die Abgeordnetenkammer an, es kam zu Straßenschlachten mit zwei Toten. Sechs Tage später erlebte das Land einen mächtigen Generalstreik. Die Stärke dieser Bewegung lag darin, dass sich sozialistische und kommunistische Demonstrant_innen zusammentaten: In einem unvergesslichen Moment vereinten sich die beiden Demonstrationszüge unter „Einheit! Einheit!“-Rufen (Unité! Unité!), und zogen dann in dicht gedrängten Reihen über die gesamte Weite des Cours de Vicennes.
Aus der antifaschistischen Einheit entwickelte sich etwas viel größeres. Ein Jahr später marschierten eine halbe Million Menschen und versicherten sich gegenseitige Solidarität gegen die Faschisten und für eine gerechtere Welt. 1936 fegte eine Streikwelle über das Land. Die Woge an Hoffnung zerbrach der „Bewegung der reaktionären Verzweiflung“ das Rückgrat. Das war noch kein Bürgerkrieg, denn das Versprechen der vereinten Arbeiter_innenbewegung, das man nicht vor der Konfrontation zurückweichen würde, hat dazu geführt, dass die Faschisten den Bürgerkrieg absagten. Es gab aber echte Bürgerkriegsszenarien in Europa, die für immer eine Inspiration für den Kampf gegen Faschismus sein werden.
Cable Street 1936
1936 versuchten die Blackshirts der British Union of Fascists (BUF) ein Viertel in East London zu terrorisieren, in dem englisches Proletariat gemeinsam mit jüdischen und irischen Einwanderern lebten. In Synagogen, auf den Straßen und an den Arbeitsstätten wurde gegen den Faschistenaufmarsch mobil gemacht.
Der Augenzeuge Max Levitas erinnerte sich: „Hunderttausende trafen sich am Gardiners Corner. Lokale Hafenarbeiter versammelten sich und halfen mit, Straßenbarrikaden zu errichten. Wir haben eine Straßenbahn umgeworfen, um damit die Straße zu blockieren. Die Faschisten versuchten die Cable Street runter zu marschieren, aber die Polizei konnte ihnen den Weg nicht frei machen. Die Bewohner der Häuser bewarfen die Polizei mit Steinen und allerlei anderen Dingen. Sie rollten Murmeln auf die Straßen, um die Pferde zu Fall zu bringen.“ Die Blackshirts mussten abziehen und erholten sich nie wieder von der Niederlage.
Die Verteidigung Parmas
In Italien wirkte bei der Verteidigung von Parma im August 1922 gegen einen Überfall von 10.000 bis 20.000 bewaffneten Faschisten die gesamte Bevölkerung mit. Frauen waren Teil der Kampfformationen und organisierten hinter den Linien. Sie gossen kochendes Wasser aus den Fenstern und warfen Dachziegel von den Dächern. Die Arditi del Popolo (Stoßtruppen des Volks) arbeiteten dabei mit den Formazioni di difesa proletaria (Formationen zur proletarischen Verteidigung) zusammen.
Angeführt wurde die Verteidigung Parmas von Guido Picelli, einem Sozialisten, und dem Anarchisten Antonio Cieri. Am Ende gab es bei den Faschisten 39 Tote und 150 Verletzte, während die Verteidiger von Parma fünf Tote und 30 Verletzte beklagten. Ähnliche und noch schlimmere Niederlagen erlitten Mussolinis Schwarzhemden in Sarzana und in Rom, aber die katastrophalen Fehler der kommunistischen und der sozialistischen Partei ermöglichten Mussolini schließlich den Durchbruch. Die Kommunisten nahmen eine offen feindselige Haltung gegenüber den antifaschistischen Arditi del Popolo ein und die Sozialisten schlossen überhaupt einen Nichtangriffspakt mit Mussolini. Den demoralisierenden Effekt auf die Basis beider Parteien konnten auch die erfolgreichen Schlachten nicht wettmachen.
Bürgerkrieg wagen
So wie die österreichische Geschichte verdreht wurde, scheint die Bereitschaft der Sozialdemokratie in den Bürgerkrieg einzutreten, die Demokratie zerstört zu haben. Seit dem Ende der Hitlerdiktatur wird landauf und landab gepredigt, dass Kompromiss mit den Rechten eine absolute Notwendigkeit sei, wenn man keine Wiederholung der Geschichte erleben wolle.
Diese Sichtweise ignoriert völlig, dass der Gegner absolut kein Problem damit hat, sich zu bewaffnen und zu morden, wenn er seine Zeit gekommen sieht. Wer ausschließt entsprechend auf Waffengewalt zu antworten, muss auch dazu sagen, dass er oder sie lieber Faschismus an die Macht lässt, als zu kämpfen. Bürgerkrieg darf man nicht ausschließen, wenn man Faschismus verhindern will. Man muss ihn gewinnen.