DDR 1953: Arbeiteraufstand gegen den „Arbeiterstaat”!
Die DDR befand sich 1952 bis 1953 in einer ökonomischen Krise. Deshalb beschloss die SED eine Arbeitsnormerhöhung um 10 Prozent, welche bis zum 30. Juni in Kraft treten würde. Die Arbeitsnorm war in der DDR die zu erbringende Leistung für einen bestimmten Lohn. Für alle Arbeiter_innen und insbesondere die Bauarbeiter_innen bedeutete das: Deutlich mehr Arbeit für deutlich weniger Lohn.
Neuer Kurs
Die zweite Maßnahme um aus der ökonomischen Krise herauszukommen war der sogenannte „Neue Kurs“, dieser wurde am 9. Juni 1953 vom SED-Politbüro ohne weitere Debatte abgesegnet. Der Neue Kurs bedeutet im Wesentlichen: An Unternehmer wurden kostenlose Kredite vergeben, kürzlich enteignete und verstaatlichte Betriebe wurden an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben, Bauern musste weniger Nahrungsmittel an den Staat liefern und Oppositionspolitiker wurden aus den Gefängnissen entlassen.
Während die DDR in der Krisenzeit also Zugeständnisse ans Bürgertum machte, verlangte sie von der Arbeiter_innenklasse noch höherer Leistungen. Dazu kam noch, dass die Sonderrabatte der Arbeiter_innen für die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgenommen wurden. Spätestens jetzt musste den Arbeiter_innen klar werden, dass die SED-Parolen vom Arbeiterstaat und dem „Aufbau des Sozialismus“ Betrug waren. Es wurde auch offensichtlich, dass in der DDR nie die Arbeiter_innenklasse an der Macht war (wie in Russland kurzzeitig nach der Revolution von 1917), sondern nur eine stalinistisch geprägte Parteibürokratie.
„Akkord ist Mord“
Sogar die offizielle Zeitung der SED „Neues Deutschland“ schrieb am 14. Juni einen relativ kritischen Artikel über die Arbeitsnorm. In den Betrieben brodelte die Stimmung, es kam zu Massenversammlungen über die Arbeitsnormen. Am 15. Juni streikten die ersten Bauarbeiter_innen auf einer Baustelle in Friedrichshain. Daraufhin wurden an mehreren Berliner Baustellen Streikbeschlüsse gefasst.
Als am 16. Juni ausgerechnet die Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ einen Artikel schrieb, in dem die Normerhöhung verteidigt bzw. bejubelte wurde, kochte die Stimmung endgültig über. All die aufgestaute Wut über den Leistungsterror der SED-Bonzen entlud sich in einem vorbildhaften politischen Massenstreik. In den Betrieben wurden Massenversammlungen abgehalten, unter dem Slogan „Akkord ist Mord“ traten Hunderttausende zuerst in Berlin, dann in den restlichen Städten der DDR in den Streik.
Die Forderungen der Arbeiter_innen waren nicht nur ökonomischer, sondern auch politischer Natur. Zentrale Forderungen waren die Abschaffung der Norm, die Senkungen der Lebensmittelpreise, die Gewerkschaft sollte der Kontrolle der Partei entzogen werden (eine Auflösung der Gewerkschaften wurde nie gefordert, wie es die stalinistische Propaganda immer behauptete), Stopp der begonnen Militarisierung der DDR (Slogan „Butter statt Kanonen“), freie Wahlen und vieles mehr.
Arbeiteraufstand
In den ländlichen Regionen gab es zwar schon ab dem 12. Juni Proteste (häufig vor Gefängnissen), doch wirklich mächtig wurde die Bewegung erst, als sie die Städte erreichen. Im Gegensatz zur DDR-Propaganda – sie machte aus den Protesten einen von „der CIA gesteuerten Putschversuch“ – und auch im Gegensatz zur BRD-Propaganda – sie machten aus den Protesten einen „Volksaufstand für die nationale Einheit“ – war es die Arbeiter_innenklasse, die selbstbestimmt auf die Straße ging.
Am mächtigsten war die Bewegung in den klassischen Hochburgen der deutschen Arbeiter_innnenbewegung Berlin, Leipzig, Dresden, Halle, Magdeburg u.a. Laut dem Politologen Bernd Gehrke streikten am 17. Juni trotz des Ausnahmezustandes an die 500.000 Arbeiter_innen. Zwischen 17. und 22. Juni gingen mehr als eine Million Menschen auf die Straße. Mehrere Gefängnisse wurden gestürmt und etwa 1.400 Gefangene befreit.
Der Aufstand in der DDR steht viel eher in der echten sozialistischen Tradition von Marx und Lenin als Stalins Sowjetunion und dem Ost-Block!
Es waren besonders die klassenbewussten Arbeiter_innen, die den Streik anführten. Der Historiker Martin Jänicke stellte fest, dass 68% der in Berlin Verhafteten vor schon vor 1933 Mitglieder der KPD gewesen waren. Die Bauarbeiter_innen galten in Berlin als besonders links; vor 1933 waren 70% von ihnen in der KP-Gewerkschaft organisiert. Diese Tatsache zeigen eindeutig: Der 17. Juni 1953 war weder ein von der CIA gesteuerter Aufstand, noch ein Kampf für die Wiederherstellung des Kapitalismus, sondern ein Arbeiter_innenaufstand gegen die stalinistische Bürokratie.
Sozialismus von unten
Der Aufstand wurde zu einer ernsten Bedrohung für die SED, aber auch für die BRD. Der RIAS (Radiosender in der BRD) berichtete anfangs fleißig über die Aufstände. Der Aufruf zum Generalstreik wurde jedoch nicht im RIAS verlesen. Keinesfalls wollte man, dass der Streik auf West-Berlin überschwappte. Der belgische Trotzkist Ernst Mandel schrieb: „Ihre (gemeint ist die herrschende Klasse in der BRD) Angst war so groß, dass sie sofort jede Demonstration oder öffentliche Versammlung in Westberlin verboten, für die nicht im Voraus um Erlaubnis nachgesucht wurde.
Während die westliche Propaganda behauptete, die Arbeiter im Osten streikten für die „demokratische Freiheit“, begannen westliche Militärpotentaten eben diese Freiheit in Westberlin zu unterbinden.“ Deshalb war es dem westlichen Imperialismus ganz recht, als sowjetische Panzer den Aufstand am 18. Juni niederwalzten. Der Aufstand in der DDR war, wie der Aufstand in Ungarn 1956 oder der Solidarność-Bewegung in Polen 1980, ein Versuch von Arbeiter_innen, den Horror der stalinistischen Bürokratie loszuwerden. Diese Aufstände stehen viel eher in der echten sozialistischen Tradition von Marx und Lenin als Stalins Sowjetunion und dem Ost-Block!
Buchtipp: „5 Tage im Juni“ von Stefan Heym. Stefan Heym erlebte den Aufstand in der DDR live mit. In seinem Buch erzählt er die Geschichte aus der Perspektive eines fiktiven kommunistischen Gewerkschafters, der gegen die Normerhöhung kämpft.