Der „linke Europäismus“ ist gescheitert
Syriza, Podemos und Co wären völlig neue Formen von Parteien, waren sich viele Linke noch vor einigen Jahren einig. Es wären Parteien, die den Gegensatz zwischen Reform und Revolution überwunden hätten, beziehungsweise einen friedlichen parlamentarischen Wandel innerhalb des Rahmens der Europäischen Union (EU) herbeiführen würden. Der Aufstieg Syrizas zur Regierungspartei und das eindrucksvolle „Oxi“ (Nein) der griechischen Arbeiter_innen gegen das Troika-Diktat schienen ihnen Recht zu geben.
Die folgende furchtbare Erpressung durch die europäischen Geldgeber und die völlige Kapitulation Syrizas rissen dieses Projekt des „linken Europäismus“ innerhalb weniger Tage in Stücke.
Stathis Kouvelakis, Mitglied im Zentralkomitee von Syriza, meinte, dieser reformistischen Idee würde ein fast „religiöser Glaube“ der Syriza-Führung an die „wohltätige Natur der europäischen Institutionen“ zugrunde liegen. Sie glaubte fest an die Möglichkeit, diese Institutionen im „positiven Sinn“ über das Verschieben der Kräfteverhältnisse, geschickte Manöver und den Aufbau einer internationalen Solidaritätsbewegung innerhalb der EU zu verändern.
„Europäische Partner“
Hinter dem linken Europäismus steckt die Idee der „europäischen Integration“, mit anderen Worten ein zivilisiertes Miteinander im „Friedensprojekt“ EU. Alexis Tsipras meinte im Interview mit transform!, ein Kernpunkt des Programms von Syriza wäre die „Neuverhandlung der Konditionen mit unseren europäischen Partner_innen“. Sich gegen einen Grexit aussprechend erklärte Tsipras, die anderen Länder müssten akzeptieren, dass „Griechenland und andere kleinere europäische Staaten gleichgestellte Partner in der EU sind“.
Der Europäismus ist das Ergebnis von Illusionen in die EU und den Nationalstaat.
Syriza baute auf einer langen kommunistischen Tradition in Griechenland auf, insbesondere auf der des „Eurokommunismus“. Nach der Niederschlagung des Aufstands im „Prager Frühling“ 1968 wandten sich mehr und mehr Kommunist_innen von Moskau ab und versuchten über die Unterstützung der eigenen Regierungen Anerkennung in den Parlamenten zu finden.
Eurokommunismus
In den 1970er-Jahren übernahmen viele Parteien den eurokommunistischen Standpunkt. Die Kommunistische Partei Italiens (PCI) unter Enrico Berlinguer vertrat die Strategie des „historischen Kompromisses“ und unterstützte die konservative katholische Regierung.
Die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) unter Georges Marchais trat 1974 für den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Mitterrand ein, entfernte 1976 die Forderung nach einem revolutionären Umsturz aus dem Parteiprogramm und trat schließlich 1981 einer bürgerlichen Regierung mit der Sozialistischen Partei (PS) bei. Synaspismos, die größte Partei in Syriza, entwickelte sich aus einer eurokommunistischen Abspaltung von der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE).
Anders, und doch ähnlich
Podemos in Spanien scheint auf den ersten Blick völlig anders. Die Partei ist aus der Massenbewegung der „Indignad@s“ (die Empörten) und in Abgrenzung zu allen, auch den kommunistischen Parteien entstanden.
„Die Strategie, die wir verfolgt haben, ist die Wiedererlangung der Souveränität innerhalb eines europäischen Netzwerks.“
Gerade die Abwesenheit marxistischer Rhetorik lässt einen noch klareren Blick auf den linken Europäismus zu. Der Vorsitzende von Podemos, Pablo Iglesias, erklärte in expliziter Ablehnung einer „sozialistischen Strategie“ und „marxistischen Kritik“ im Interview mit New Left Review: „Die Strategie, die wir verfolgt haben, ist ein Diskurs über die Wiedererlangung der Souveränität, über soziale Rechte, sogar Menschenrechte, innerhalb eines europäischen Netzwerks.“
Illusionen bekämpfen
Reformismus ist das unweigerliche Ergebnis der ungleichmäßigen Entwicklung des Klassenbewusstseins. Viele Arbeiter_innen haben ihre eigene Stärke im Kollektiv noch nicht erkannt und suchen in Abwesenheit von Kämpfen nach anderen Kräften zur Veränderung. Der Europäismus ist das Ergebnis von Illusionen in die EU und den Nationalstaat.
Die EU ist allerdings kein „Friedensprojekt“, sondern eine Union der Konzerne und Banken. Ein emanzipatorisches Projekt sucht die Lösung nicht im Kompromiss mit dem Kapital, sondern im selbständigen und internationalen Kampf der Arbeiter_innen zur Überwindung der bestehenden Ordnung. Selbstverständlich kämpfen wir Seite an Seite mit Anhänger_innen des linken Europäismus gegen Austerität und die Auswirkungen der Krise, und doch behalten wir uns gleichzeitig das Recht auf harte Kritik vor. Wir teilen, wie es der russische Revolutionär Trotzki formulierte, „die Schwierigkeiten des Kampfes, aber nicht eure Illusionen“.