Die Internationale
Eugène Pottier ist der Textdichter der „Internationalen“. Geboren 1816 in Paris, wuchs Pottier in einer Zeit auf, in der die Errungenschaften der Französischen Revolution von 1789 zunichte gemacht und die Monarchie wiederhergestellt worden war. In einer Zeit neuer sozialer Kämpfe brach er mit 13 Jahren die Schule ab und arbeitete mit seinem Vater im Transportwesen. Schon mit 14 Jahren wurden seine beiden Leidenschaften Politik und Dichtkunst sichtbar, als er sein erstes Lied „Vive la Liberté!“ nach der Julirevolution von 1830 schrieb. 1848 erkämpfte er auf den Barrikaden die zweite Republik, die nach kurzer Zeit wieder in der Monarchie endete.
Die Pariser Kommune
Zum ersten Mal in der Geschichte kam es im März 1871 in Paris zu einem Aufstand unter Führung der arbeitenden Bevölkerung. Innerhalb weniger Stunden wurde die Stadt übernommen und eine neue Form der Demokratie eingeführt: die Räterepublik. In den 72 Tagen der Pariser Kommune musste kein Mensch hungern oder obdachlos sein. Die bürgerliche Regierung musste aus der Stadt nach Versailles flüchten, aber sie entsandte im Juni ihre Soldaten, um die Kommune blutig zu zerschlagen. Nach den brutalen Massakern an den Kommunard_innen verfasste Pottier den Text der Internationalen und ließ darin Geschichte mit politischen Aussagen verschmelzen.
Gewidmet ist der Text der „Internationalen Arbeiterassoziation“ oder kurz „Internationale“. Sie bildete sich 1864 aus einem Zusammenschluss von Sozialisten, Anarchisten, nationalen Befreiungskämpfern und anderen radikalen Denkern. Unter ihnen war auch Karl Marx, der sich mit seinen Ideen der Arbeiterbefreiung durchsetzte und weitere wichtige Aspekte seiner Analysen in die Erklärungen der Internationale einfließen ließ.
Fatale Fehler
Eugène Pottier war bei den Aufständen und an der Pariser Kommune als Kommunalrat beteiligt. Wie die meisten Arbeiter_innen in Frankreich, war er Anhänger des Proudhonismus, einer Form des Anarchismus. Die Proudhonisten waren begeisterte Revolutionäre, deren politische Schwächen aber maßgeblich für die Niederlage der Kommune waren. Marx meinte, man hätte auf die Pariser Frauen hören und auf Versailles marschieren und die bürgerliche Regierung verhaften sollen.
Die Proudhonisten ignorierten die Gefahr, konzentrierten sich ganz auf die Errichtung der neuen Gesellschaft und erleichterten so den Sieg der Konterrevolution. Der Proudhonismus wurde mit der Kommune zu Grabe getragen, aber Pottiers „Internationale“ hat bis heute Bestand.
Der Text
Zur Zeit Pottiers waren Arbeiter_innen zu Hunger und Armut verdammt. Forderten sie ein besseres Leben, dann konnten sie dafür tatsächlich eingesperrt werden. Pottier ruft in der ersten Strophe der Internationalen auf:
Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!
In der ersten Strophe zeigt sich, wie diese Forderungen umgesetzt werden können:
Das Recht wie Glut im Kraterherde nun mit Macht zum Durchbruch dringt. Reinen Tisch macht mit dem Bedränger! Heer der Sklaven, wache auf! Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger Alles zu werden, strömt zuhauf!
Pottier sieht Arbeiter_innen wie Marx als Lohnsklav_innen, die sich nur im gemeinsamen Kampf gegen ihre Unterdrücker_innen befreien können. Der Zusammenschluss aller Ungehörten kann in der Masse zur Revolution führen, die Macht, Rechte zu erkämpfen.
Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun! Leeres Wort: des Armen Rechte, Leeres Wort: des Reichen Pflicht! Unmündig nennt man uns und Knechte, duldet die Schmach nun länger nicht!
In der zweiten Strophe wird noch einmal betont, dass die Befreiung nur von den Unterdrückten selbst ausgehen kann. Der Staat wird als Instrument der herrschenden Klasse gesehen: Arme haben keine Rechte, Reiche keine Pflichten.
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, wir sind die stärkste der Partei'n Die Müßiggänger schiebt beiseite! Diese Welt muss unser sein; Unser Blut sei nicht mehr der Raben, Nicht der mächt'gen Geier Fraß! Erst wenn wir sie vertrieben haben dann scheint die Sonn' ohn' Unterlass!
Mit Partei ist die „Internationale“ gemeint, die als Ziel hatte, alle Arbeiter_innen unter ihrer Führung international zu vereinen. Der zweite Teil der Strophe nimmt Bezug auf die Massaker an den Kommunard_innen und fordert die Revolution, um eine freie Welt ohne Kapitalismus zu schaffen.
Der Refrain ruft schließlich zum letzten Kampf um Leben und Tod auf, wie beim Kampf um die Pariser Kommune. Er wurde im Vergleich mit dem französischen Originaltext etwas in seiner Bedeutung verändert. Aus „Die Internationale wird die Menschheit sein“ wurde in der deutschen Version „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht“.
Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
Die Unterschiede in den Übersetzungen sind auf die damaligen politischen Verhältnisse zurückzuführen. In Deutschland war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) die stärkste Arbeiterpartei und setzte kaum auf Selbstbefreiung, im Gegensatz zu den revolutionären Proudhonisten in Frankreich. Pottier hat eine weltweit verständliche Botschaft geschaffen, die den internationalistischen Charakter der Pariser Kommune festhält. Ohne Vorwissen spürt man, was der gemeinsame Kampf der Arbeiter_innen für die Menschheit bedeuten kann.