Erster Sieg im Libanon: Premier muss zurücktreten

Nachdem die Regierung eine WhatsApp-Steuer einführte, gingen Hunderttausende auf die Straße. Die Massenproteste überwanden die religiösen Spaltungen innerhalb der Bevölkerung. Der Premierminister musste zurücktreten, doch die Menschen wollen den Sturz des gesamten politischen Establishments.
5. November 2019 |

WhatsApp ist das einzige soziale Medium, das wir haben, um unsere Enttäuschungen auszublenden. Jetzt wollen sie auch unsere Enttäuschungen besteuern“, erklärte eine Demonstrantin. Diese Steuer brachte das Fass zum Überlaufen. Obwohl sie von der Regierung zurückgenommen wurde, gingen die Proteste weiter.

Sektiererische Spaltung

Das politische System im Libanon organisiert sich entlang religiöser Linien. Gesetzlich muss der Präsident zu den Christlichen Maroniten, der Premierminister zu den Sunniten und der Präsident der Abgeordnetenkammer zu den Schiiten gehören Immer wieder erschallt auf den Demonstrationen der Ruf „Alle gemeinsam heißt auch alle gemeinsam“. Doch nicht nur religiöse Trennungen werden überwunden, Frauen bilden die Spitze der Protestbewegung.

Die gegenwärtige Protestbewegung unterscheidet sich von den vorhergegangen 2011 und 2015 darin, dass dieses Mal die Arbeiter_innenbezirke rebellieren. Der libanesische Soziologe und Aktivist Rima Majed erklärt: „Die Mobilisierungen der letzten Tage zeigen das Entstehen eines neuen Bündnisses zwischen Arbeitslosen, Arbeiter_innen, Prekarisierten und der Mittelklasse gegen die herrschende Oligarchie. Das ist ein Durchbruch“.

Hisbollah und Iran verlieren

Die entscheidende politische Macht im Libanon ist die schiitische Hisbollah-Miliz. Diese entstand 1985 als Widerstandsorganisation gegen die israelische Invasion. Die Hisbollah ist eine politische Massenbewegung mit zehntausenden Mitgliedern. Der Widerstand gegen die israelischen Invasionen genauso wie eine religiös inspirierte Sozialpolitik brachten ihr den Rückhalt großer Bevölkerungsteile, insbesondere der Schiit_innen. Bei den letzten Parlamentswahlen 2018 erreichte sie etwa 10% der Parlamentsabgeordneten und beteiligte sich an der aktuellen „Regierung der nationalen Einheit“.

Wirtschaftlich ist die Hisbollah auf iranische Finanzhilfen angewiesen. Der Iran versucht durch die Hisbollah seinen geopolitischen Einfluss in der Region auszuweiten. Die US-Sanktionen gegen den Iran führten zu einem Rückgang der Finanzhilfen für die Hisbollah. Dies führte, gemeinsam mit der konterrevolutionären wie auch kostspieligen Hisbollah-Intervention im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten Assads, zu einem Abbau der Sozialprogramme.

Die Hisbollah stellt sich gegen die Massenproteste. Trotzdem ist die aktuelle Protestbewegung gerade in Nabatäa, dem Kerngebiet der Hisbollah im Süden Libanons, besonders stark. Hier zündeten schiitische Demonstrant_innen Hisbollah-Büros an, nachdem Mitglieder des Hisbollah-Sicherheitsdienstes mit Metallstangen auf demonstrierende Frauen einschlugen. Offensichtlich wird die Hisbollah von ihrer eigenen Basis mit dem korrupten Herrschaftssystem in Verbindung gebracht und erhält dafür die Quittung.

Solidarität

Der Iran ist die bedeutendste militärische und wirtschaftliche Stütze für die Regierungen im Irak, Libanon und Syrien. Er versucht, seinen geopolitischen Einfluss bis in den Mittelmeerraum auszudehnen und gleichzeitig seinen großen Konkurrenten Saudi Arabien einzukreisen. Die aktuellen Massenproteste bedrohen diese Strategie. Dies erhöht die Gefahr, dass der Iran und die Hisbollah versuchen werden, die Massenproteste in blutige Bürgerkriege, zu verwandeln.

Die Überwindung der sektiererischen Spaltung in beiden Ländern stellt den besten Schutz gegen eine solche Intervention dar. Als Sozialist_innen stehen wir gegen alle ausländischen Interventionen, unabhängig davon, ob sie vom Westen und dessen Verbündeten Saudi Arabien durchgeführt werden, wie bspw. im Jemen, oder vom Iran, wie im Irak und Libanon.