IST-Erklärung zur Ukraine-Krise – „Kein Krieg um die Ukraine!“
1. Die Krise um die Ukraine hat Europa näher an einen schrecklichen Krieg gebracht. Im Kern handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem mächtigsten imperialistischen Block der Welt, den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Verbündeten, und Russland, einer schwächeren, aber immer noch bösartigen imperialistischen Macht. Für beide Seiten ist die Ukraine lediglich ein Spielball. Die Arbeiterklasse hat kein Interesse an einem Sieg der einen oder anderen Seite in diesem Konflikt. Revolutionäre Sozialisten in den Staaten, die in diesen Konflikt verwickelt sind, müssen dem Widerstand gegen ihre „eigenen“ Regierungen Priorität einräumen.
2. Diese besondere Krise wurde durch die Entscheidung des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, ausgelöst, Truppen an der Grenze zur Ukraine zu konzentrieren. Er rechtfertigte diesen bedrohlichen Schritt zum einem mit der großrussischen nationalistischen Mythologie über die historischen Verbindungen zwischen Russland und der Ukraine und zum anderen mit der Wiederholung seiner seit langem bestehenden Beschwerden über die US-Politik, die NATO und die Europäische Union nach Osten zu erweitern. Er fordert insbesondere die Zusage, dass die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird und den Abzug der NATO-Truppen aus Mittel- und Osteuropa.
3. Es stimmt, dass die Erweiterung der NATO und der EU um die meisten ehemals stalinistischen Staaten Mittel- und Osteuropas von den Regierungen Bill Clintons und George W. Bushs vorangetrieben wurde, um die Macht des westlichen Imperialismus noch weiter auf den eurasischen Kontinent auszudehnen. Mit dieser Politik wurden Versprechen gebrochen, die US-Außenminister James Baker 1990 dem letzten sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gegeben hatte, als Moskau zustimmte, dass ein wiedervereinigtes Deutschland der NATO beitreten könnte.
4. Putin ist kein Freund der internationalen Arbeiterklasse. Er steht einem repressiven neoliberalen Regime vor, appelliert an den großrussischen Nationalismus um ideologische Unterstützung zu erhalten, und ist bestrebt, die russische Militärmacht wieder aufzubauen und sie zu nutzen, um Moskaus Vorherrschaft im „nahen Ausland“ aufrechtzuerhalten, insbesondere bei der Niederschlagung der Unabhängigkeitsbewegung in Tschetschenien, dem Krieg mit Georgien 2008, der Einnahme der Krim 2014 und der jüngsten Intervention gegen Volksaufstände in Kasachstan. Weiter entfernt wurde die russische Militärmacht eingesetzt, um das brutale Regime von Bashar al-Assad in Syrien zu retten.
5. Dennoch war es Washington, angestachelt von Boris Johnsons chaotischer Regierung in Großbritannien, das die gegenwärtige Krise eskalieren ließ. Die Regierung von Joe Biden hat sich geweigert, ernsthaft auf Putins Hauptforderungen einzugehen, hat die Gefahr eines Krieges heraufbeschworen (gegen die Proteste der pro-westlichen Regierung der Ukraine) und hat zusammen mit den NATO-Verbündeten mehr militärische Mittel in die Nähe der russischen Grenzen verlegt.
6. Käme es zum Krieg, wären die Hauptopfer die Menschen in der Ukraine, die im letzten Jahrhundert bereits furchtbar gelitten haben: unter dem Ersten Weltkrieg, den konterrevolutionären Militärinterventionen gegen die bolschewistische Revolution, der stalinistischen Kollektivierung der Landwirtschaft in den 1930er-Jahren und dem Einmarsch der Nazis in die UdSSR im Jahr 1941. Im Jahr 1991 machten sie ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung geltend und leiteten damit den Zerfall der Sowjetunion ein. Doch seither werden sie von rivalisierenden Banden korrupter Oligarchen regiert, die sich mal nach Westen und mal nach Osten orientieren. Seit 2014 sind Teile des Südostens der Ukraine ein Kriegsgebiet zwischen der Kiewer Regierung und ihren von Russland unterstützten Gegnern. Das ukrainische Volk braucht keine weiteren Armeen, weder von der NATO noch von Russland!
7. Die westliche Eskalation der Ukraine-Krise steht im Zusammenhang mit der globalen Rivalität zwischen den USA und China. Biden will dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping signalisieren, dass Washington keinen Versuch Pekings akzeptieren wird, Taiwan gewaltsam wieder China einzuverleiben. Xi hat sich daraufhin in der Ukraine auf die Seite Putins gestellt. Durch diesen Wettbewerb droht die Zersplitterung des internationalen Systems in rivalisierende imperialistische Blöcke, was die Gefahr eines Weltkriegs erhöht, der die Menschheit vernichten würde.
8. Wir sagen:
– Kein Krieg um die Ukraine!
– Rückzug sowohl der russischen als auch der NATO-Streitkräfte!
– Keine NATO-Erweiterung – löst sie auf!
– Entmilitarisiert Europa!
– Beendet das Wettrüsten, das Ressourcen verschlingt, die wir für die Bekämpfung von Armut und Klimawandel brauchen!
9. Wir führen unsere politische Tradition auf die revolutionären Sozialisten zurück, die sich weigerten, im Ersten Weltkrieg Partei für eine Seite zu ergreifen. Angeführt von W.I. Lenin und Rosa Luxemburg sahen sie in der internationalen sozialistischen Revolution den einzigen Ausweg aus einem imperialistischen System, in dem die konkurrierende Akkumulation von Kapital unweigerlich zu Kriegen führt. Luxemburgs Genosse Karl Liebknecht prägte die Parole: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ Das sollte auch heute unsere Parole sein.
Die Koordination der International Socialist Tendency - 16. Februar 2022 | Übersetzung ins Deutsche von David Heuser.