Kid Pex von SOS Balkanroute: „Quälerei der kroatischen Polizei ist das Schlimmste“
Du hast SOS Balkanroute ins Leben gerufen und mit solidarischen Menschen für Flüchtlinge in Bosnien gesammelt. Kannst du uns kurz erklären: Wie hat das mit den Hilfslieferungen begonnen?
Mit Brigitte Holzinger hat alles angefangen. Die bekannte Flüchtlingsmama aus Oberösterreich, die sich vor allem um minderjährige Flüchtlinge kümmert, hat mich wegen der schlimmen Lage in Bosnien kontaktiert. Ich wusste recht wenig darüber und sie wusste auch noch nicht genau, wie schlimm die Lage wirklich ist. Erfahren haben wir das erst, als wir selbst vor Ort waren.
Beim ersten Mal waren wir im Flüchtlingslager Vučjak auf einer ehemaligen Mülldeponie in der Nähe von Bihać und landeten dort beim deutschen Helfer Dirk Planert. Er hatte dort ehrenamtlich eine Sanitätsstation errichtet. Es gab ja keine medizinische Versorgung, nix. Die Flüchtlinge kamen immer wieder von der kroatischen Grenze zurück, von der Polizei geschlagen, mit gebrochenen Armen und anderen Verletzungen. Wir waren sehr, sehr geschockt über das Erlebte – nur fünfeinhalb Autostunden von Wien weg.
Brigitte, ihre Freundin Heidi Pohl und ich wussten schon bei der Rückfahrt, das kann es nicht sein. Wir machen was. Damals haben wir noch nicht geahnt, wie viel es wird. Brigitte hat in Kremsmünster gearbeitet, ich hab in Wien SOS Balkanroute als Begriff aufgebaut und auch Kooperationen begonnen. Beim Verein Boem konnte ich Spenden lagern oder beispielsweise hat uns der Besitzer vom Café Europa damals einen Kombi geliehen. Ich habe zusammengetrommelt was ging und habe Leute kennengelernt, die spontan bereit waren, ihre Privatautos zur Verfügung zu stellen.
Bei der zweiten Fahrt waren gerade alle Helfer kriminalisiert worden. Dirk Planert war nach Deutschland verwiesen worden. Helfende mussten 150 Euro Strafe zahlen, wenn sie erwischt wurden. Die Lage in Vučjak war katastrophaler denn je. Und in dem Moment haben wir ein Loch gestopft. Dies war vielleicht die wichtigste Fuhr, denn wir haben die Frauen unterstützt, die dort trotz allem ehrenamtlich helfen.
Das Horrorlager Vučjak wurde dank eurer Proteste und Medienarbeit geschlossen. Das war ein wichtiger Erfolg. Aber die grauenhafte Situation der Schutzsuchenden war damit leider nicht gelöst. Frierende, hungrige und verletzte Geflüchtete leben in Wäldern, unter Brücken oder in stillgelegten Fabriken. Der Winter stand damals bevor. Was habt ihr seither erlebt?
Stimmt, die Lage ist weiterhin schlimm. Die Frauen – Omas, Mütter, Schwestern oder Töchter – haben vor allem vor Ort geholfen und das seit über zwei Jahren. Vor allem Frauen haben Verantwortung übernommen, seit die ersten Flüchtlinge gekommen sind und die ersten Lager entstanden. In der Grenzstadt Velika Kladuša ist vor allem Zehida sehr aktiv. Einige Kilometer weiter ist Zemira Gorinjac in Bihać, sie ist so etwas wie die muslimische Ute Bock oder Mutter Theresa vor Ort. Diese Frauen helfen und sehen das ein bisschen als ihre Lebensaufgabe. Diese Heldinnen zu unterstützen, ist eigentlich eine Ehre für uns.
Wir organisieren viel und allen Engagierten gebührt Lob. Diese Frauen aber sind an der Frontlinie und bekommen alles ab. Sie müssen mit all dem Frust und der psychischen Belastung zurechtkommen. Und die meisten haben ja auch Familien und einige auch Jobs. Ihre Geschichte möchte ich eigentlich erzählen.
Eine Volkschullehrerin öffnet nach dem Unterricht ihre Privatwohnung, damit die Schutzsuchenden duschen können. Es gibt ja buchstäblich nichts in den Camps. Es ist vielfältig, die eine handelt aus ihrem religiösen Glauben heraus, die andere aus ihrem sozialen Gewissen usw. Es sind historisch oft die Frauen, welche die Verantwortung übernehmen. Für die Männer wäre es vielleicht auch schwieriger in dieser patriarchalischen Gesellschaft, dort sich in der xenophoben Stimmung an die Front zu stellen. Bosnien ist ein vom Nationalismus zerfressenes Land, das noch immer im künstlichen Koma liegt. Es ist ethisch zersplittert und hat einen gewaltigen Verwaltungsapparat, der für Korruption anfällig ist. Deswegen sagen wir den bosnischen Organisationen auch, dass wir eine direkte Verteilung wollen. Ich will die helfenden Frauen dort stärken und vertraue diesen Frauen mehr als einer Organisation.
Die Situation ist scheinbar aussichtslos und die Polizei misshandelt Schutzsuchende beim Versuch, die Grenzen zu überwinden brutal. Was erzählen die Menschen, warum sie nicht aufgeben?
Die Menschen sind trotz völliger Entwürdigung sehr tapfer. Sie haben schon sehr arge Fluchterlebnisse hinter sich und ihr Lebenswille verwundert mich manchmal. Auch die Freundlichkeit der meisten Flüchtlinge wundert mich. Was Schlechtes habe ich dort nie erlebt. In Vučjak beispielsweise wurden tausend Menschen wie Vieh – ohne Wasser, Strom, Heizung oder medizinische Versorgung im Dreck neben Minenfeldern – gehalten. Ich würde absolut verstehen, wenn da jemand durchdreht. Aber sie motivieren sich gegenseitig und teilen ihr Leid in Würde.
Ich versuche wegen ihrer Geschichten nicht zu sehr nachzubohren. Die Flüchtlinge versuchen immer wieder, die kroatische Grenze zu übertreten. Leider enden die meisten wieder in einem der wilden Camps – und zwar mit Verletzungen durch die Schläge der Grenzpolizei, barfuß und ohne jegliches Hab und Gut. Die Helferinnen vor Ort und wir geben ihnen wieder Decken oder Handys, Schuhe und Jacken.
Die Quälerei der brutalen kroatischen Polizei ist das Schlimmste und wird von der EU gestützt. Sie versuchen jeden Willen totzuschlagen, brechen ihnen die Knochen. Es gibt Erzählungen und Verwundungen von kochendem Wasser, das auf Flüchtlinge geschüttet wird und von jeder Form systematischer Misshandlungen. Das kroatische Grenzgebiet dort ist ja seit der Vertreibung der Serben 1995 gespenstisch menschenleer, weit und breit fast nur Polizei.
Einerseits gibt es Kanzler Kurz, der sich rühmt, die Balkanroute geschlossen zu haben. Anderseits gibt es das andere solidarische Österreich, das 2015 sichtbar wurde. Wie erklärst du dir diese Polarisierung?
Wie ich damals als Kind, mitten im Krieg 1992, aus Kroatien nach Österreich gekommen bin, habe ich die „Nachbar in Not“-Aufkleber auf den Autos gesehen und eine Solidaritätswelle gespürt. Ich habe diese Hilfsbereitschaft für mein Leben mitgenommen. Ich glaub nicht, dass dieses Österreich tot ist. Es gibt ältere Leute, wie eine Schuldirektorin, die wie schon vor über 20 Jahren jetzt wieder für denselben bosnischen Ort spendet. Es gibt noch Bewusstsein über falsch und richtig. Die Frage ist aber, wie und ob die Bilder kommuniziert werden und wie Politik und Medien die Themen behandeln.
Die Frage ist vor allem, wie gut Sebastian Kurz die Kontrolle über den Diskurs hat. Die ÖVP versucht den Deckel drauf zu halten, denn sogar für ÖVP-Wähler müsste die Lage der Flüchtlinge in Bosnien inakzeptabel sein, wenn sie noch ein Fünkchen Anstand haben. Alle können gerne mitkommen und sich ein Bild machen. Dort weinen selbst harte Machos.
Wir haben jetzt Kurz’ hässliche Bilder gezeigt. Es muss aber natürlich noch breiter werden und etwa im ORF berichtet werden. Im ORF gab es nur einen zynischen Wehrschütz-Beitrag, eine Frechheit. Es gibt aber noch Journalist_innen beispielsweise von Puls 4 oder FM4, die mit uns vor Ort waren. Nicht alle sind durch die türkise Manipulationswelle verblendet. Und es ist ja nicht nur in Österreich so, international ist es gleich.
Wir müssen stärker werden und die Wahrheit aufzeigen, damit sich unsere Seite gegen die Hetze durchsetzt. Deshalb müssen wir uns auch international vernetzen und gemeinsam große Aktionen vorbereiten, um auf die Missstände aufmerksam zu machen.
Du warst immer politisch aktiv, deine Kunst provoziert Rechte und Rechtsextreme. Deine Soli-Auftritte sind legendär. Warum lehnst du dich nicht zurück und machst dir ein faules, feines Leben?
Wie es Alma Zadić mit einem Straßenbahnfahrer erlebte, erlebte ich die Ansage „Wir brauchen hier keine Tschuschen“ durch meinen Klassenvorstand. Die Rassisten, die uns Jugos heute als Super-Christen darstellen und über Muslime wettern, haben damals ganz anders geredet. Medien schrieben über „Balkanbanden“, die FPÖ hat regelmäßig auf uns geschossen. Ich habe schon auch schnell gemerkt, dass hier kein Inklusionsparadies ist. Ich habe mit Rap ein Ventil gefunden. Damit konnte ich auch auf der Bühne Tabus brechen. Ich mag bis heute die Direktheit und Schärfe von Rap.
Momentan komm ich eh zu wenig zur Musik, wegen SOS Balkanroute. Aber ich möchte auch das nicht missen. In Bosnien spüre ich mich wieder neu als Mensch. Dort wird dir vieles über dein eigenes Leben bewusst. Jeder nimmt auch was mit zurück. Das wird sich auch in meiner Kunst widerspiegeln. Bernhard Rabitsch von Drahdiwaberl und der Falco-Band hat mir bei einem Soli-Event gesagt, dass er cool findet was ich mache. Es erinnert ihn an Stefan Weber und wie Drahdiwaberl die Republik verarscht hat. Österreich ist wirklich auch ein gutes Land für Rap, wo man die Rechten sehr leicht reizen kann. Typen wie Gabalier schießen sich mit ihrer Erregung über mich brav Eigentore.
Was magst du Menschen ans Herz legen?
Nutzt jede Form des Widerstandes. Jeder und jede kann was machen, vielleicht nicht alle das Gleiche. Wenn ihr die Möglichkeit habt, geht zur Großdemo der Plattform für eine menschliche Asylpolitik am 21. März. Könnt ihr das nicht, abonniert zumindest die Linkswende jetzt oder kauft euch eine CD von Kid Pex. Seid solidarisch wie jetzt die Mitschüler_innen von Volksschüler Timi gegen dessen Abschiebung. Das ist das Österreich, welches ich liebe.
Das Interview führte Karin Wilflingseder.