Milena Jesenská
Am 10. August 1896 wird Milena Jesenská in Prag geboren. Nach einem abgebrochenen Medizinstudium heiratet sie gegen den Willen ihres Vaters den Dichter Ernst Polak. Sie ziehen gemeinsam nach Wien, wo sie für tschechische Zeitungen schreibt und als Übersetzerin tätig ist.
Ihre Ehe mit Polak scheitert 1925 und sie kehrt nach einem Aufenthalt in Dresden, wo sie ein paar Monate bei der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Alice Rühle-Gerstel lebt und für deren Zeitschrift Das proletarische Kind schreibt, nach Prag zurück. Dort widmet sie sich ihrer literarischen Karriere.
Als Schriftstellerin und Journalistin erlangt sie zunehmend Bekanntheit, unter anderem mit einer Serie von Reportagen über das soziale Leben in Wien in der Prager Zeitung Tribuna. 1928 bringt sie ihre Tochter Jana – aus ihrer zweiten Ehe mit dem avantgardistischen Architekten Jaromír Krejcar – zur Welt.
Kritik an Stalin
Mit dem Erstarken nationalistischer Bestrebungen schließt sie sich 1931 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei an und arbeitet zeitweise als Redakteurin der kommunistischen Zeitschrift Tvorba. Sie verfasst kritische Texte über den Nationalsozialismus und die Situation im Sudetenland. Zunehmend äußert sie sich auch kritisch zum sowjetischen Regime Stalins, woraufhin sie im Jahr 1936 aus der Partei ausgeschlossen wird. Ihre spätere Freundin Margarete Buber-Neumann schreibt darüber: „Sie erkannte die Bedrohung der Freiheit, ganz gleich, von welcher Seite sie kam, und hatte den Mut, mit gleichem Nachdruck die nationalsozialistische ebenso wie die sowjetrussische Diktatur zu verurteilen. Das brachte sie in entscheidenden Widerspruch zu einem großen Teil der Prager Intelligenz, die, betont antifaschistisch, vor der sowjetrussischen Wirklichkeit die Augen verschloss.“
Ab 1933 ist die Tschechoslowakei ein wichtiger Zufluchtsort für Menschen, die von den Nazis verfolgt werden. In einer Reportage mit dem Titel „Gestrandete Menschen“ in der Kulturzeitschrift Přítomnost (Gegenwart) beschreibt sie die Ankunft der deutschen Flüchtlinge. Nach dem Beschluss des Münchener Abkommens, nach welchem das Sudetenland vom nationalsozialistischen Deutschland besetzt wird, organisiert sich Jesenská aktiv im tschechischen Widerstand.
Fluchthilfe und Widerstand
Jesenská hilft sowohl von den Nazis verfolgten Kommunist_innen, Juden und Jüdinnen als auch von Stalin verfolgten Trotzkisten und anderen Vertreter_innen nicht Stalin-treuer Gruppierungen. Sie versteckt die Menschen in ihrer Wohnung, unterstützt sie bei Fluchtplänen und hilft bei finanziellen Notlagen. Außerdem treffen sich in ihrer Wohnung Widerstandskämpfer. „Führer der ausgeschlossenen Parteiopposition (…) wurden abends auf ein verabredetes Klopfzeichen eingelassen“, berichtet der vor den Nazis geflohene und bei Jesenská untergetauchte Anarchist Henry Jacoby. Sie selbst zieht die Flucht nie in Erwägung, ihr ist es wichtig, aktiv Hilfe und Widerstand zu leisten.
Am 11. November 1939 wird sie von der Gestapo verhaftet und ins Prager Gefängnis Pankrác gebracht. Im Juni 1940 wird sie schließlich ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert.
Aus dieser Zeit sind Schriftstücke erhalten, in denen sie ihre Trauer über das Leid ihrer jüdischen Mitmenschen verarbeitet. Im KZ schließt sie Freundschaft mit Margarete Buber-Neumann, deren Lebensgefährte 1931 in Russland erschossen wurde, sie selbst wurde nach Jahren in sowjetischer Gefangenschaft auf Basis des Hitler-Stalin-Paktes an die Nazis ausgeliefert. Buber-Neumann überlebte, in ihrem Buch Milena, Kafkas Freundin schreibt sie später über ihre Zeit im KZ. Am 17. Mai 1944 stirbt Milena Jesenská im Alter von 47 Jahren infolge eines Nierenleidens in Ravensbrück.
Aufrechte Überzeugung
Die Anerkennung für ihr beeindruckendes Lebenswerk wurde Jesenská lange verwehrt. Aufgrund ihrer Stalin-kritischen Haltung wurden ihre Texte in der Tschechoslowakei erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wiederentdeckt.
Im Westen hingegen wurde sie wegen ihrer kommunistischen Gesinnung verschwiegen und fand lediglich als Geliebte Kafkas Beachtung. 1990 ist erstmals eine Sammlung ihrer Feuilletons und Reportagen unter dem Titel Alles ist Leben erschienen. Milena Jesenská setzte sich ihr Leben lang für Gerechtigkeit ein und hielt allen Widerständen zum Trotz an ihren sozialistischen Idealen und Überzeugungen fest.