Stellungnahme zur geplanten Änderung des Versammlungsrechts

Der Angriff von Innenminister Wolfgang Sobotka auf das Demonstrationsrecht ist eine Attacke auf linke Aktivist_innen: Er will den „Ermessensspielraum“ der Polizei ausweiten, „Schutzzonen“ für FPÖ-Hetze einführen, die Anmeldefrist von 24 auf 48 Stunden verlängern und Versammlung mit Ausländer_innen untersagen können. Neue Linkswende hat im parlamentarischen Begutachtungsverfahren am 12. April eine Stellungnahme eingebracht, die wir hier veröffentlichen. Die demokratischen Abgeordneten sind aufgefordert die geplante Gesetzesänderung als Ganzes zu verhindern.
12. April 2017 |

Jede Demokratin und jeder Demokrat, besonders die demokratischen Mandatar_innen im Parlament, müssen die vorliegende Gesetzesänderung im Versammlungsrecht in der Luft zerreißen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung wurde in einem jahrzehntelangen Kampf mit Blut erkämpft, Arbeiter_innen bezahlten diesen Kampf mit dem Leben. Sogar SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern erklärte im ORF (wenige Tage, bevor er dem ÖVP-Vorschlag doch zustimmte): „Meine politische Partei und Vertreter meiner politischen Partei haben vor Jahren, vor Jahrzehnten dieses Demonstrationsrecht mit Blut erkämpft. Da gab’s Todesopfer. […] Wir wollen nicht, dass es möglich wird, Demonstrationsfreiheit einzuschränken.“

Rote Parteijugend rebelliert für Verteidigung des Demo-Rechts

Rote Parteijugend rebelliert für Verteidigung des Demo-Rechts

Hunderte Demonstrant_innen haben am Dienstag, 28. März dieses Recht auf Demonstrationsfreiheit in Anspruch genommen und für die Verteidigung desselben demonstriert. Im Aufruf forderte die Organisatorin, die Sozialistische Jugend Österreich: „Die erste Beschneidung des Demonstrationsrechts wird nicht die letzte sein. Aber wir lassen keinerlei Einschränkungen zu!“ Der Protest wurde unterstützt vom Verband sozialistischer Student_innen Österreichs (VSStÖ), der Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), der SPÖ-nahen Schülerorganisation (aks), der Volkshilfe Österreich, der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, Attac, Global 2000, Greenpeace, 20.000 Frauen, Neue Linkswende, SOS Mitmensch, System Change not Climate Change und vielen anderen.

Anlassgesetzgebung

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist eine politische Anlassgesetzgebung. Der ganze Prozess, eine so schwerwiegende Änderung im Demonstrationsrecht in einem Eilverfahren ohne Begutachtungsfrist (wie ursprünglich geplant) durchzuziehen, sagt viel über die Angst aus, die die Regierung noch immer vor der Massenbewegung in Solidarität mit Flüchtlingen seit 2015 hat, und nimmt Anleihen an der Trumpschen „Wir fahren über alles drüber“-Dekretpolitik.

Der Entwurf richtet sich gegen die hunderttausenden freiwilligen Helfer_innen, die sich für Flüchtlinge engagiert haben – so würden Proteste gegen Abschiebungen und Demos gegen FPÖ-Hetze erschwert und Solidarität zerstört werden. Er richtet sich gegen das Demonstrationsrecht an sich – Innenminister Wolfgang Sobotka verriet sich im Interview mit der Tageszeitung Österreich, als er sich über die Verdoppelung der angemeldeten Versammlungen beschwerte: „Das ist ein ungeheurer Mehraufwand, der für uns zu leisten ist.“ Anders ausgedrückt: Der Zweck der Gesetzesvorlage ist es, die die Zahl der Proteste zu verringern.

Der Gesetzesentwurf richtet sich nicht zuletzt gegen die antifaschistische Bewegung, die sich in den letzten Jahren mutig Aufmärschen von Neonazis und FPÖ in den Weg gestellt haben (siehe Punkt 3). Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl, der bereits zu Beginn des Jahres in das Geschrei um „Demoverbotszonen“ eingestimmt hat,unterstützt wenig überraschend den neuen Gesetzesentwurf und rechtfertigt ihn in einer Stellungnahme im Begutachtungsverfahren unter anderem mit der Blockade der rechtsextremen Pegida-Demonstration am 2. Februar 2015. Anders gesagt: Der Polizeipräsident verteidigt einen Marsch von Neonazis, die „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude!“ skandierten, die Hände zum Hitlergruß streckten und deutsche Reichsfahnen schwenkten.

1. „Ermessensspielraum“ der Polizei einschränken, nicht ausweiten!

Schon jetzt ist der sogenannte „Ermessensspielraum“ der Polizei, also die Kompetenzen der Behörden Versammlungen zu untersagen und zu kriminalisieren, so hoch, dass Behördenleiter sich regelmäßig über die in der Verfassung verankerten Grundrechte hinwegsetzen. Nur ein paar Beispiele der letzten Jahre:

  • 2010 und 2011 untersagte die Bundespolizeidirektion Wien (BPD) die Proteste gegen den Ball der rechtsextremen Burschenschafter und kesselte hunderte Demonstrant_innen stundenlang ein. Das Verbot von 2011 wurde 2013 vom Verfassungsgerichtshof sogar als verfassungswidrig aufgehoben.
  • Trotz der Aufhebung des Verbots durch den Verfassungsgerichtshof untersagte die Polizei 2014 eine friedliche Kundgebung von Holocaustüberlebenden gegen den FPÖ-Akademikerball am symbolträchtigen Heldenplatz und verhängte ein riesiges Sperrgebiet, das auch für Journalist_innen mit gültigem Presseausweis galt. Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) bezeichnete die damalige Aussperrung von Medien als einen „Anschlag auf die Pressefreiheit“.
  • Die Polizei versucht seit 2016, also offensichtlich in Zusammenhang mit der Debatte um die Einschränkung des Demorechts, gezielt Versammlungsleiter_innen und Ordner_innen einzuschüchtern. Die Behörden haben mehrere Anzeigen gegen die Organisator_innen der Demonstration gegen Abschiebungen #LetThemStay am 26. November 2016 wegen angeblicher „Missachtung der Pflichten des Leiters einer Versammlung“ (beziehungsweise des Ordners) eingebracht – in einem Versuch „Polizeiaufgaben“ auf Organisator_innen von Demonstrationen abzuwälzen (in einem Verfahren spricht ein Behördenleiter bei Ordner_innen und Versammlungsleiter_innen von einer „internen Versammlungspolizei“).
  • In Linz drohte die Polizei mit der Untersagung der Kundgebung gegen den Burschenbundball am 4. Februar 2017, sollten nicht 50 Ordner_innen namentlich und mit Geburtsdatum genannt werden. In allen Fällen soll die kostenintensive Beanspruchung von Rechtsanwält_innen Aktivist_innen davon abhalten, weitere Demos anzumelden. Die Behörden sagen mehr oder minder: Lasst das Anmelden sein, denn wir werden euch mit Anzeigen eindecken.
  • Auch auf Protesten werden schon jetzt regelmäßig die Vereinbarungen zwischen Anmeldern einer Demonstration und der Behörde von der Polizei gebrochen. Am 18. März zog der Behördenleiter auf der Demonstration am internationalen Aktionstag gegen Rassismus #M18 vor dem Ring eine Sperrkette ein, um die Teilnehmenden auf den Gehsteig abzudrängen. Als das nicht funktionierte und sich tausende Menschen am Ring versammelten, ließ der Behördenleiter plötzlich den Verkehr durch die angemeldete Versammlung fahren.

Die Parlamentarier_innen müssen über eine Einschränkung des Ermessensspielraumes der Behörden diskutieren, und nicht über dessen Ausweitung. Zwar können kostenintensive Einsprüche gegen Demoverbote, etc. eingelegt werden, aber die Verfahren dauern in der Regel Jahre. Die Ausweitung des Ermessensspielraumes wird polizeilicher Willkür Tür und Tor öffnen.

2. Demonstrationsrechts ausweiten, nicht einschränken!

Das Demonstrationsrecht selbst darf nicht eingeschränkt, sondern muss radikal ausgeweitet werden:

  • Es ist eine demokratiepolitische Schweinerei, dass in Österreich noch immer nur österreichische Staatsbürger_innen Demonstrationen anmelden und Ordner_innen auf Protesten stellen dürfen, keine Ausländer_innen. Es widerspricht auch gültigem EU-Recht, dass diese Einschränkung sogar für EU-Bürger_innen gilt.
  • Es muss möglich werden, spontane Proteste zu organisieren (Versammlungen, die innerhalb der 24 Stunden-Anmeldefrist liegen), ohne dafür Strafen zu kassieren (siehe auch Punkt 4).
  • Schon jetzt ist die Versammlungsfreiheit während Sitzungen im Nationalrat, im Bundesrat oder im Landtag außer Kraft gesetzt – es gelten sogenannte Bannmeilen um das Parlament beziehungsweise das Wiener Rathaus von 300 Metern, innerhalb derer Demonstrationen verboten sind. Diese Bannmeilen müssen abgeschafft werden.

3. Demo-„Schutzzonen“ verteidigen Nazi-Aufmärsche und FPÖ-Rassismus

Im vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es:

„§ 7a. (1) […] Die Behörde hat […] den Umfang des Schutzbereiches festzulegen. Die Festlegung eines Schutzbereiches, der 150 Meter im Umkreis um die Versammelten überschreitet, ist nicht zulässig. (3) Die Behörde kann von einer ausdrücklichen Festlegung des Schutzbereiches absehen, wenn 50 Meter im Umkreis der Versammelten als Schutzbereich angemessen sind, diesfalls gilt dieser Bereich als Schutzbereich. (4) Eine Versammlung ist am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich einer anderen Versammlung verboten.“

Anders gesagt: Künftig gilt automatisch eine Demoverbotszone im Umkreis von mindestens 50 Meter der Versammlung, die auf bis zu 150 Meter ausgeweitet werden kann (letzeres würde zweifellos die Praxis werden). Die Parlamentskorrespondenz schreibt selbst zum Gesetzesentwurf: „Wird kein ausdrücklicher Schutzbereich angeordnet, gilt eine allgemeine Schutzzone von 50 Meter.“Auch die Landespolizeidirektion Tirol versteht den Gesetzesvorschlag in ihrer Stellungnahme so, dass künftig „automatisch ein Schutzbereich von 50 Meter“ gelte.

Die Umsetzung dieses Gesetzes würde de facto rassistische FPÖ-Hetze legitimieren und Aufmärsche von Neonazis verteidigen. Es wäre nicht mehr möglich, Gegendemonstrationen zum Schutz von Flüchtlingsheimen (vor der FPÖ) wie in Liesing am 14. März 2016 anzumelden. Mit solchen „Verdrängungszonen“ wäre die Kundgebung gegen die FPÖ-Hetze vor dem Asylheim in Wien-Erdberg am 3. Juni 2015 untersagt worden, als sich spontan hunderte Menschen mit den Bewohner_innen des Heims solidarisierten. (Wir verweisen diesbezüglich auch auf die Stellungnahme zum Gesetzesänderung von SOS Mitmensch.) Neue Linkswende, die Sozialistische Jugend und andere haben immer wieder „braune Sack“- und „blaue Tonne“-Aktionen organisiert, bei der sich Aktivist_innen direkt neben FPÖ-Ständen aufstellen und Passant_innen auffordern, den rassistischen Müll zu entsorgen. Diese Aktionen haben sich besonderer Beliebtheit erfreut: In jedem Grätzl zeigte sich jedes Mal schnell, dass die Solidarischen in der Überzahl waren. Auch das würde bald unmöglich werden.

Künftig könnte die FPÖ – wie sie es schon beim Burschenschafterball getan hat – bei der Behörde Scheinversammlungen um die Hofburg anmelden, die mit einem (mindestens) 50-Meter-Radius Protestzüge auf der Ringstraße unmöglich machen würden. Die FPÖ ist in Umfragen auf der Ebene des Parlaments bereits die stärkste Partei. Die Gesetzesänderung soll das Kräfteverhältnis offenbar auch auf der Straße zugunsten der FPÖ verschieben.

4. Verlängerung der Anmeldefrist führt de facto „Demogebühr“ ein

Im neuen Gesetzesentwurf soll auch die Anmeldefrist für Versammlungen von 24 auf 48 Stunden verlängert werden. Das erschwert Protest enorm, und es wird nicht mehr möglich, spontane Proteste zu organisieren ohne dafür automatische eine Strafe zu kassieren – damit wird praktisch eine „Demogebühr“ eingeführt. Wenn etwa die Regierung an einem Tag beschließt, eine weitere Einschränkung des Demonstrationsrecht am Folgetag im Parlament ohne Begutachtung durchzupeitschen, ist schon jetzt praktisch kein kostenfreier Protest mehr möglich (eine Strafe in der Höhe bis zu 720 Euro ist jedenfalls zu zahlen, oder eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu sechs Wochen abzusitzen).

Betroffen wären Proteste gegen Abschiebungen. Ein Beispiel: Wird jemand am Montag um 6 Uhr morgens von der Polizei zur Deportation verhaftet, könne man künftig frühestens am Mittwoch um 6 Uhr früh einen Protest organisieren – zu einer Zeit, wo die Abschiebung schon längst erfolgt ist. Die Proteste gegen Deportationen nehmen in den letzten Wochen zu, so protestieren erst jüngst Volkschüler_innen vor dem Innenministerium gegen die Abschiebung ihres Freundes Luca. Die Regierung sieht diese Solidarität und will das offenbar erschweren.

5. Verbot von Versammlungen mit Drittstaatsangehörigen – „Lex Opposition“

Im neuen Gesetzesentwurf heißt es außerdem:

„§ 6 (2) Eine Versammlung, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient und den außenpolitischen Interessen, anerkannten internationalen Rechtgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen oder den demokratischen Grundwerten der Republik Österreich zuwiderläuft, kann untersagt werden.“

Diese Passage höchst brisant und wird ohne Zweifel dafür eingesetzt werden, unliebsame Opposition auszuschalten. Proteste wie die Women’s Marches zu Beginn des Jahres könnten untersagt werden, weil auch dort gebürtige US-Amerikanerinnen gegen den neuen US-Präsident Donald Trump gesprochen haben – zur Untersagung würde der Regierung schon genügen zu behaupten, der Protest hätte sich gegen die „demokratische Wahl eines Präsidenten“ gerichtet. Der Life-Ball oder die Regenbogenparade könnten von einer FPÖ-Regierung unterdrückt werden, wenn dort Menschenrechtsaktivist_innen aus Russland oder anderen Drittstaaten auftreten. Versammlungen und Kongresse (etwa der jährliche antikapitalistische Kongress „Marx is Muss“ von Neue Linkswende), auf denen prokurdische Aktivist_innen, Revolutionäre_innen aus Ägypten, usw. sprechen, könnten künftig verboten werden.

Die demokratischen Abgeordneten sind aufgefordert diese Gesetzesänderung als Ganzes zu verhindern. Insbesondere die Mandatar_innen der Regierungsparteien müssen sich dem Klubzwang widersetzen und sich für Demokratie stark machen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.