Die Trauer meiner Tochter um ihren abgeschobenen Mitschüler
Meine 12-jährige Tochter ist persönlich betroffen: Sie hat einen lieben Mitschüler verloren, der am 5. Oktober 2016 festgenommen und anschließend nach Kroatien abgeschoben worden ist. Der 13-jährige Nijteh hatte bis zu diesem Tag die Parallelklasse besucht und die beiden hatten sich oft während der Pausen und am Nachmittag in der Schule unterhalten.
Meine Tochter ist sehr traurig, wütend und enttäuscht, dass alle Bemühungen der Schüler und Lehrer, eine Abschiebung noch im letzten Moment zu verhindern, ignoriert worden sind. Kurz nachdem Nijtehs Festnahme an der Schule bekannt geworden war, hatten die Schüler seiner Klasse Plakate gemalt, die ganze Schule hatte Unterschriften für das Innenministerium gesammelt und es war auch verzweifelt versucht worden, mit Außenminister Kurz in Verbindung zu treten.
Wie kann man liebe und bestens integrierte Menschen, die endlich eine neue Heimat gefunden haben, so aus ihrer Umgebung herausreißen, als wären sie Schwerverbrecher?
Meine Tochter ist entsetzt darüber, wie mit ihrem Schulkameraden umgegangen wurde: Nijteh, seine Schwester und sein Vater wurden mit Blaulicht im Morgengrauen abgeführt, vom 23. In den 11. Bezirk gefahren, in ein „Gefängnis“ mit vergitterten Fenstern, in dem Polizisten mit Maschinengewehren standen. Die Handys wurden ihnen sofort abgenommen, zwei Tage später waren sie im Lager in Zagreb, in dem katastrophale Zustände herrschen und sie nicht in Sicherheit sind.
Dabei hatte Nijteh nach elf Monaten in der Schule schon sehr gut Deutsch gesprochen, hatte in der 3. Klasse AHS schon Schularbeiten geschrieben, hatte regelmäßig Tennis und Fußball gespielt. Meine Tochter hat mir oft von ihm erzählt. Er war sehr nett, hat mit allen gelacht und war bei Mitschülern, Lehrern und Nachmittagsbetreuern sehr beliebt. Die ganze 3. AHS-Stufe vermisst ihn, ebenso seine Lehrer und seine Betreuer in der Pfarre nahe der Schule im 23. Bezirk, in der er ein neues Zuhause gefunden hatte.
Wie die deportierte Familie leidet, nachdem man ihr zum zweiten Mal – nach der Hölle von Syrien und der Hölle der Flucht – den Boden unter den Füßen weggezogen hat, vermag ich mir gar nicht vorzustellen. Was ich vor mir sehe ist, wie es meiner Tochter nahegeht, dass ein Mitschüler von heute auf morgen einfach verschwinden kann. Meine Tochter ist entsetzt: Wie kann man diese Abschiebungen so herzlos und unmenschlich durchführen? Wie kann sich Österreich so unberechenbar, hartherzig und ungerecht verhalten? Wie kann man liebe und bestens integrierte Menschen, die endlich eine neue Heimat gefunden haben, so aus ihrer Umgebung herausreißen, als wären sie Schwerverbrecher?
Es tut mir so leid, dass meine Tochter diese schmerzliche, beunruhigende und verunsichernde Erfahrung machen musste. Dass so etwas in einem Land wie Österreich möglich ist, sogar mittlerweile an der Tagesordnung ist, gleicht einem Albtraum.
Nijteh und seine Familie muss wieder in sein Wiener Umfeld zurückgeholt werden, damit das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, wieder ein wenig gutgemacht wird und damit meine Tochter wieder den Glauben an Menschlichkeit in Österreich zurückbekommen kann.
Mag. Dominique Cruyff
Großdemonstration #LetThemStay #LasstSieBleiben: 26. November, 14 Uhr Westbahnhof. Mehr Infos: menschliche-asylpolitik.at | Facebook