Triumph in Irland gegen das Abtreibungsverbot: Alles hat sich verändert, vollkommen verändert
Die Medien, Kommentatoren und Politiker hatten im Vorfeld immer wieder betont, wie umstritten und knapp das Ergebnis sein werde. Nun haben die Menschen aus allen Regionen, Frauen wie Männer, durch alle sozialen Klassen und aus fast allen Altersgruppen scharenweise für die Abschaffung gestimmt.
Ergebnisse
Mit 66% hat die Seite, die Ja zu der Abschaffung des achten Verfassungszusatzes gesagt hat, gewonnen. Dublin hat mit überwältigender Mehrheit mit Ja gestimmt. Die meisten Ja-Stimmen gab es in Dublin Bay South mit 78% für die Abschaffung – ein Wahlkreis dessen Arbeiter- und Mittelklasse mit 90% bzw. 91% mit Ja gestimmt haben.
Der Unterschied zwischen Stadt und Land, der in den Medien zu einem politischen Faktum stilisiert wurde, ist zerfallen. Während 72% der Menschen in den Städten mit Ja gestimmt haben, waren es mit 63% in ländlichen Gegenden fast genauso viele. In Dublin haben 75% die Abschaffung unterstützt. Wahlbefragungen ergaben für Leinster 67%, Munsters 63% und Connacht-Ulsters 62%, also ähnlich deutliche Ergebnisse. Die Wahl hat gezeigt, dass, wenn die Menschen endlich zu Abtreibung befragt werden, sie auf einer Seite mit ihren Schwestern, Müttern und Töchtern stehen. Die Realität der Abtreibungen in Irland konnte nicht länger verleugnet und verschwiegen werden. Es war ein starkes Ja für das Ende der politischen Heuchelei, die Kontrolle der Kirche und das beschämende frauenfeindliche Regime, das Irland so lange dominiert hat.
Stille Revolution?
Leo Varadkar, der Ministerpräsident Irlands, hat sich an die Spitze der Veränderung katapultiert. Er begrüßte die Wahl als den Tag an dem Irland „als Land erwachsen geworden ist“, der Tag an dem „eine moderne Verfassung für moderne Menschen“ eingeführt wurde. Aber die Realität ist etwas nuancierter als dieses neue liberale Narrativ glauben macht. Es stimmt, dass er und andere das Referendum durch die Bürgerversammlung und das Parlament gesteuert haben. Aber das überwältigende Ja zeigt, dass sich etwas in der irischen Gesellschaft verändert, was die Machthaber seit langem ignoriert haben.
Gemäß der RTE-Wahlbefragungen sagten 76% der 3000 Befragten, dass sie immer mit Ja gestimmt hätten, weitere 8% sagten, der Tod von Savita Halappanavar vor fast sechs Jahren habe sie überzeugt. Nur 1% bezogen ihre Entscheidung auf die letztjährliche Entscheidung der Bürgerversammlung; 1% auf die parteiübergreifenden Diskussionen im Parlament und 12% wurden durch die Kampagne des Referendums selbst zu einem Ja bewogen. Ein Drittel begründete ihre Ja-Stimme mit Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis. Der Kern des Erfolgs war also bereits gegeben.
Obwohl Varadkar schnell die Führung der nach seinen Worten „stillen Revolution“ beansprucht hat, gab es die Entwicklungen also schon vor seinen Äußerungen.
Bewegung von unten
Die treibende Kraft hinter der Wahl war eine Bewegung von unten – die Massenbewegung der Leute, die diese Bewegung gestaltet haben. Seit dem tragischen Tod von Savita Halappanavar im Jahr 2012 aufgrund des achten Verfassungszusatzes, bildete sich eine wachsende öffentliche Bewegung von Frauenrechtsaktivist_innen, die sich , ermutigt durch radikale, internationale Frauenbewegungen, für eine Abschaffung des Paragrafen einsetzten.
Die Kampagne für das Recht auf Abtreibung, ebenfalls im Jahr 2012 gegründet, die sich für freie, sichere und legale Abtreibungen einsetzt, hat viele Menschen mobilisiert, und gipfelte in einem Protestmarsch im September des letzten Jahres. Der Internationale Frauentag in Irland wurde zum Fokuspunkt dieser Wut, wie der Streik für die sofortige Abschaffung an diesem Tag gezeigt hat. In Nord- und Südirland gab es eine starke #Metoo-Bewegung gegen die gewalttätige Vergewaltigungskultur, die der Gerichtsprozess gegen Rugbyspieler in Belfast offenbart hat.
Diese Bewegungen entstanden aus einer neuen Generation junger Frauen, arbeitenden Frauen, Studentinnen und jungen Müttern. Die radikale Linke, nicht der politische Mainstream, hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, der Bewegung einen Fokus zu geben. Die unabhängige Sozialistin Clare Daly hat 2013 einen Gesetzesvorschlag eingereicht, nachdem die Abtreibung bei schweren Fehlbildungen erlaubt sein soll. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, da die Fine Gael (Christdemokratische Volkspartei) und der Großteil der Fianna Fáil (Konservativ-Republikanische Partei) dagegen gestimmt hatten, während sich die Sinn Féin (Sozialdemokratische Partei) enthalten hat.
Die Fine Gael-Regierung verordnete vor etwa 20 Jahren ein Gesetz zum Schutz des Lebens während der Schwangerschaft , wonach Abtreibungen erlaubt sind, wenn eine schwangere Frau oder ein Mädchen suizidgefährdet ist. Ärzte äußerten während der Kampagne, dass das Gesetz komplett nutzlos sei. Außerdem vorgesehen war ein beschämendes Maximum von 14 Jahren Haftstrafe für alle anderen Abtreibungen. Die People before Profit-Abgeordnete Brid Smith hat 2017 vorgeschlagen, die Strafe zu reduzieren, was die etablierten Parteien aber abgelehnt haben.
Im Grunde war die Kampagne für die Abschaffung des Abtreibungsverbots eine Graswurzelbewegung, in der die radikale Linke, Sozialisten und einzelne linke Aktivistinnen und Aktivisten eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Entscheidung ist wesentlich
Was die RTE ‚Behaviour and Attitudes‘-Wählerbefragung ebenfalls gezeigt hat und was viele Mitglieder der Kampagne schon länger gewusst haben: es ist ein entscheidender Aspekt, dass man überhaupt eine Wahl hat, ob man abtreibt oder nicht. Die Mehrheit (62%) der Befragten sagten, dass das Recht zu entscheiden das „kritischste Thema“ war. Nicht weniger als 84% der Menschen, die mit Ja gestimmt hatten, begründeten das mit dem Recht der Frauen auf Selbstbestimmung, das waren wesentlich mehr als jene, für die Gesundheit der Frauen oder Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung die zentralen Themen waren.
So gesehen ist die politische Botschaft der ‚Together for Yes‘-Kampagne ziemlich danebengegangen. Darin wurde Aktivist_innen angehalten nicht über Themen wie Entscheidungsfreiheit, Abtreibung auf Anfrage oder körperliche Selbstbestimmung zu sprechen – also die für die Wählerinnen und Wähler relevantesten Themen. Der Gedanke hinter dieser Strategie – mehr aus der Welt der Public Relations als aus den politischen Bewegungen – war, dass die Menschen in Irland nicht bereit wären, Recht auf Abtreibung als ein Recht der Frauen zu betrachten. Diese professionellen Strategen, von denen manche aus NGOs oder der Labour Partei kommen, glaubten an Varadkars Mantra, dass in der Politik „Spin“ das Wichtigste ist.
Das ist eine sehr oberflächliche Sichtweise auf Politik. Veränderte soziale Umstände, Lebenserfahrungen, die wahrgenommene Politik und viele andere Faktoren beeinflussen das Denken der Menschen. In diesem Zusammenhang ist es zentral, dass die irischen Frauen sich selbst nicht mehr in erster Linie als Hausfrauen betrachten. Frauen machen in Irland heute 45% der Arbeitskräfte aus. In Irland ist die Mehrheit der Studierenden weiblich. Dies alles verändert, wie Frauen sich selbst, ihre soziale Rolle und ihre Rechte wahrnehmen. Heute kollidiert der Zwang, ein ungewolltes Kind zu gebären, mit den Hoffnungen und Erwartungen an das eigene Leben. Das Recht auf Abtreibung wird zusehends als notwendige Voraussetzung für andere Frauenrechte gesehen.
In Zeiten solcher Rechte ist das, was der neue, glänzende Liberalismus von Fine Gael bieten kann, sehr wenig.
Geist ist raus aus der Flasche
Simon Harris – von manchen bei seinem Auftritt im ‚Dublin Castle‘ bejubelt – ist der verantwortliche Minister für die Krise der Gebärmutterhalskrebsvorsorge, die durch die Privatisierungsagenda seiner Partei verschlimmert wurde. Liberalismus in all seinen Schattierungen – von Hillary Clinton bis Emmanuel Macron – ist, aufgrund der Privatisierung persönlicher Freiheiten, ohne die nötigen materiellen Mittel dafür für alle bereitzustellen, unzulänglich. Dieser Liberalismus trifft auf die eigene neoliberale Wirtschaftsagenda. Wird die Regierung nach dem Referendum kostenlose Abtreibungen und Abtreibungspillen für Frauen zur Verfügung stellen? Wird sie öffentlich finanzierte Gesundheitszentren mit kostenlosen Verhütungsmitteln und ein System für kostenlose Unterstützung bereitstellen?
Motiviert durch den Sieg, wollen viele Aktivist_innen aus der Bewegung weiter gehen. Sie wollen eine Trennung von Staat und Kirche, keine Religion mehr an Schulen. Sie hoffen, dass das Wahlergebnis das misogyne Regime in Nordirland verändert, so dass unsere nordirischen Schwestern auch ein vollständiges Recht auf Abtreibung bekommen. Die Sozialist_innen werden zusammen mit den tausenden Aktivist_innen kämpfen, um eine wirkliche Wahl zu haben, wirkliche Gleichheit, wirkliche Veränderung. Der Geist ist raus aus der Flasche.
Der Artikel erschien zuerst auf rebelnews.ie. Übersetzung aus dem Englischen von Christopher Körper