Ungleiche Chancen: Diskriminierung in Österreichs Schulsystem
Der Nationale Bildungsbericht Österreich (NBB) erschien Ende März zum vierten Mal seit 2009. Wie die vorhergehenden Ausgaben offenbart der Bericht: das österreichische Bildungswesen weist dramatisch hohe soziale Selektivität auf. Kinder von Akademiker_innen werden Akademiker_innen und Kinder von Hilfsarbeiter_innen werden Hilfsarbeiter_innen oder Arbeitslose. Der Bericht belegt: Der Bildungserfolg und die späteren Berufschancen wie auch das Einkommen hängen stark vom Bildungsgrad der Eltern ab.
Gewalt an Kindern
Im Jahr 2018 waren 64.000 bzw. 6,8 % der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren weder erwerbstätig noch in Ausbildung oder Weiterbildung. Das fällt angesichts der vorausgegangenen sozialen Selektion unter „strukturelle Gewalt“. Der Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer betont allerdings, dass die seit Schwarz-Blauen früher einsetzt. „Ziffernnoten und Sitzenbleiben sind strukturelle Gewalt“, sagt er. Sie bedeuten Angst und Scham und Stigmatisierung. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder psychisch krank werden, ist in sozioökonomisch benachteiligten Familien doppelt so hoch ist wie in wohlhabenden Familien.
Der sozioökonomische Status und die Bildung einer Familie bestimmen die verfügbaren Ressourcen wie Privatschulbesuch, Nachhilfe, private Lernmittel, etc. So besitzen etwa Kinder aus Familien mit höherem sozioökonomischem Status mehr Bücher, sie besuchen häufiger ein Theater oder ein Museum. Aber 18,1 % der österreichischen Bevölkerung, also 1.563.000 Menschen, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die schwarz-blaue Regierung hat diesen Missstand nicht aus Versehen verschlimmert, als sie Kürzungen bei Kindern von Mindestsicherungsbeziehern und den Familienbonus für Besserverdienende beschlossen hat. Soziale Selektion ist ihr Programm.
Neben der Schichtzugehörigkeit hat auch struktureller Rassismus im Bildungsbereich Folgen. Unabhängig vom Elternhaus haben vor allem junge Erwachsene mit Migrationshintergrund deutlich schlechtere Bildungschancen. Separieren statt integrieren lautet das derzeitige Motto der Regierung. Eine wesentliche Weichenstellung geschieht bereits in der Pflichtschulzeit. Ein Sechstel der Schulpflichtigen landen nach dem Kindergarten, als nicht „schulreif“, in zu 75 % separaten Vorschulklassen. Da sind die Einschulungen in die Sonderschule noch nicht mitgerechnet.
Systematische Chancenungleichheit
Mit 10 Jahren erleben die Kinder die zentrale Schnittstelle im Bildungsverlauf, entweder wechseln sie in die Neue Mittelschule bzw. der Hauptschule (BMS) oder in eine weiterführende Allgemein bildende höhere Schule (AHS). Die Studien zeigen, soziale Ungleichheiten sind bei der Schulwahl nur zu einem Drittel durch Leistungsunterschiede erklärbar! Das österreichische Bildungswesen liefert den Privilegierten die fortgesetzte Legitimation, um sich mit der falschen Behauptung von der höheren Begabung als gesellschaftliche Elite zu reproduzieren.
Die Schülerschaft der AHS-Unterstufe und jener von Neuen Mittelschulen unterscheidet sich deutlich durch die Kindeseltern. 71 % angehende AHS-Schüler_innen haben Eltern mit Matura oder höherem Abschluss. Aber nur rund ein Drittel der Eltern von Schüler_innen der Neuen Mittelschule schaffen später die Matura oder einen höheren Bildungsabschluss. Die Kinder, deren Eltern maximal über einen Lehrabschluss oder Abschluss einer BMS verfügen, sind in der AHS-Unterstufe mit nur 29 % deutlich unterrepräsentiert. In der BMS stellen sie mit etwa zwei Drittel das Hauptklientel dar.
Leistungsauslese eine Lüge
Ein ähnliches Bild zeigt sich nach Abschluss der 8. Schulstufe. Bei 77 % der Jugendlichen, die angeben, eine AHS-Oberstufe besuchen zu wollen, hat zumindest ein Elternteil Matura oder eine höhere Ausbildung. Bei denjenigen, die in eine Berufsbildende höhere Schule (mit Matura) wechseln möchten, sind es 55 %. Bei den Jugendlichen, die eine Berufsbildende mittlere Schule (BMS), Berufsschule oder Polytechnische Schule gehen wollen, sind es nur mehr zwischen 34 % und 28 %.
Nach der neunjährigen Schulpflicht stellt sich schließlich die Frage, ob die Fortsetzung der Schullaufbahn in Frage kommt oder eine Berufsausbildung begonnen wird. Nur 23% der Kinder, die einen Wechsel in eine AHS schaffen, haben Eltern mit „nur“ einer Berufsausbildung.
Angeblich muss sich Leistung lohnen und Armut ist selbstverschuldet. In Wahrheit sind Armut und schlechte Bildung bewusst politisch gewollt.