Wahlentscheidende Klimabewegung muss sich Klimafossil ÖVP stellen
Man rechnete zwar allgemein mit Verlusten, die Tiefe des FPÖ-Absturzes (um 9,9 Prozentpunkte auf 16,1 Prozent) bei den Parlamentswahlen hat uns dann aber doch überrascht. Die Wucht der Klimagerechtigkeitsbewegung bugsierte die Freiheitlichen phänomenal in die Defensive. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl beklagte sich im Wahlkampf über die ÖVP: „Man muss aufpassen bei den neuen Schwarzen. 2017 sind sie uns nachgelaufen, jetzt laufen sie der Greta Thunberg nach.“
Der Spesenskandal um Ex-Chef Heinz-Christian Strache, Ibiza und diverse Nazi-Skandale führten schließlich dazu, dass sich einige führende Funktionäre mit ihren Distanzierungen von Strache nicht mehr zurückhalten konnten – tödlich für eine Führerpartei. Rainer Nowak schrieb im Leitartikel der Presse: „Dank Heinz-Christian Strache, seiner Spesen, seiner Rache und der Nazi-Keller-Einzelfälle ist mit der FPÖ kaum ein Staat zu machen.“ Die Blauen verloren 258.000 Wähler_innen an die ÖVP und hatten überdies ein gewaltiges Mobilisierungsproblem: 235.000 Wähler_innen von der vorigen Nationalratswahl blieben dieses Mal zuhause.
Nazi- und Klimakeule zieht
Der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner schmollte am Wahlabend angesichts einer „linken Jagdgesellschaft“. Nachdem die FPÖ in Niederösterreich ihren Klubobmann ausschließen musste, weil er zum Hitler-Geburtstag Glückwünsche auf Facebook gepostet hatte, jammerte Landeschef Udo Landbauer einmal mehr über die „abgenutzte Nazi-Keule“. Und am Wahlabend: „Das hat uns zehn Jahre nach hinten geworfen.“ Der ehemalige Chef der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Ariel Muzicant, griff die FPÖ in der Tageszeitung Die Presse als Partei von „Kellernazis“ an, mit der man keinesfalls koalieren dürfe, was zu einer empörten Reaktion des FPÖ-Manns Andreas Mölzer führte. Dieser beklagte in einer Replik auf Muzicant die „ständige mediale Diffamierung und gezielte Stigmatisierung“ der „ach so bösen Burschenschaften“.
Die Burschenschafter – Mölzer ist selber einer – sind in einer schwer verwundbaren Position, die blaue Klimaleugnerpartei ist in Angst und Schrecken versetzt. FPÖ-Chef Norbert Hofer spottete vor der Wahl über eine „Zöpferl-Diktatur“ von Greta Thunberg. Der ehemalige Innenminister Herbert Kickl wetterte beim Wahlfinale, am gleichen Tag des historischen Earth Strike mit über 150.000 Menschen in ganz Österreich: „Heute schwächeln sie ein bisschen, die Gegendemonstranten. Wahrscheinlich sind sie bei der Fridays for Future-Demonstration, verstellen den ganzen Verkehr, sorgen für ein Chaos, für Staus, lassen einen Haufen Dreck liegen und tragen einen negativen Beitrag bei zur CO2-Bilanz.“ Und: „Mir persönlich ist ja lieber: Freiheitliche for Future als Fridays for Future.“
Die günstige Gelegenheit muss genutzt werden. Klar ist nämlich auch, wenn wir nichts daraus machen, werden sich die FPÖ und die Burschenschafter auch wieder erholen.
Fridays for Future-Effekt
Das gesellschaftliche Pendel schlägt derzeit nach links, mit anderen Worten, wir Linken bestimmen die gesellschaftliche Dynamik. Die FPÖ versuchte wiederholt, sich durch Rassismus (etwa durch die Öffnung angeblich neue „Balkan-Routen“ von Flüchtlingen) aus der Misere zu ziehen – vergeblich. Die Kronenzeitung, die größte österreichische Tageszeitung, steckte Ex-Führer Strache am Tag vor den Protesten mit einem Fuß ins Gefängnis und titelte „Droht Strache jetzt sogar Haft?“. Ein paar Seiten weiter warb sie mehrseitig für den Earth Strike. Fridays for Future und dem breiten Bündnis, das zum größten Klimastreik der Geschichte aufgerufen hatte, ist es gelungen, die Klimakrise zum entscheidenden Wahlthema zu machen. Laut SORA-Wahltagsbefragung wurde „Umwelt- und Klimaschutz“ von 33 Prozent der Wähler_innen am meisten diskutiert – 2017 waren es noch 19 Prozent.
Der spektakuläre Wiedereinzug der Grünen mit 14,0 Prozent, ihr stärkstes Ergebnis bei Wahlen überhaupt, ist Ausdruck der Wucht dieser Bewegung. Bei 81 Prozent der Grün-Wähler_innen dominierte das Klimathema. Ein ganzes Drittel ihrer Stimmen stammte von SPÖ-Wähler_innen, die dieses Mal ihr Kreuz bei den Grünen machten. Dass der Anteil der Spätentschlossenen bei den Grünen höher ist, deutet auch darauf hin, dass die Klimaprotestwelle bestimmenden Einfluss auf das Ergebnis hatte. Der Kurier fasste in ihren Lehren aus der Nationalratswahl zusammen: „Das Klimathema hat Grün genutzt und den Zauderern, auch in der SPÖ, geschadet.“
Spaltpilze in der FPÖ
Die Klimabewegung muss sich jetzt drei zentrale Fragen stellen. Die leichteste Aufgabe wäre erstens, die Krise der FPÖ zu vertiefen, indem man den Fehdehandschuh aufnimmt und klar Position gegen Klimaleugner bezieht: mit Leuten, die nach der Verabschiedung des Klimanotstands über die Ausrufung eines „Klima-Kriegsrechts“ (Hofer) frotzeln, redet man nicht.
Mölzer sieht die freiheitliche Parteiführung vor der Weichenstellung, ob man weiterhin ein „Streben nach Stimmenmaximierung auch um den Preis inhaltlicher Beliebigkeit“ fortführen oder eine „vernünftige rechtsliberale Partei“ sein wolle, „die unter Umständen auf allzu große Stimmenzuwächse“ verzichte. Beide Richtungen werden von Hofer beziehungsweise Kickl verkörpert. Anneliese Rohrer sieht in der deutschen Zeit einen „internen Machtkampf“ in der FPÖ: „Im Grunde geht es um die Teilhabe an einer Regierung rechts der Mitte oder um eine fundamentale Opposition zum herrschenden demokratischen System.“ Auch Hans Rauscher weist im Standard auf diese Flügelkämpfe hin und rechnet mit einer weiteren Radikalisierung, also einem Erfolg des Kickl-Flügels.
Die Konflikte, über die wir bereits ausführlich geschrieben haben, könnten nach dieser desaströsen Wahlniederlage weiter vertieft werden und zu (Ab-)Spaltungen führen.
Auf Bewegung von unten setzen
Die Klimabewegung muss sich zweitens die Unabhängigkeit von den Grünen bewahren, egal ob diese sich an einer Regierung beteiligen oder in Opposition gehen – denn diese könnten der Bewegung die scharfe Kante abstumpfen und sie in harmlose Bahnen lenken. Die Stärke von Fridays for Future und dem Klimaprotestbündnis ist gerade, dass sie auf Mobilisierungen auf der Straße setzt und sich die Maxime von Greta Thunberg auf die Fahnen geheftet hat: „Wir nehmen unsere Zukunft jetzt selbst in die Hand!“. Die zentralen Organisator_innen können ein Lied davon singen: Sie wurden schon Zeug_innen von Versuchen, die Führung der Bewegung in die etablierten Parteien einzubinden.
Selbst wenn das gesamte Programm der Grünen in einer Regierung umgesetzt werden würde, wäre das nicht annähernd ausreichend, die Klimakrise zu bewältigen. Der „Herzstück“ des grünen Programms, so Grünen-Chef Werner Kogler bei der Klimaprüfung von Fridays for Future, sei die ökosoziale Steuerreform, die unser Klima nicht retten wird (ausführlicher haben wir das bereits hier argumentiert). Nötig wäre ein radikaler Umbau unseres Transportwesen (massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Aufschienebringung des Frachtverkehrs…), die nötige Vergesellschaftung fossiler Großkonzerne wie der OMV und die Schaffung von hunderttausenden Arbeitsplätzen in Bereichen erneuerbarer Energien, Gebäudesanierung… – all das kann nur eine lebendige Bewegung auf den Straßen und vor allem in den Betrieben mit den Gewerkschaften erkämpfen.
Stärke der ÖVP
Die Notwendigkeit, auf Druck von der Straße und den Gewerkschaften zu setzen, wird noch deutlicher, wenn wir das erschreckend starke Abschneiden der türkisen Kurz-ÖVP in die Gleichung mit einbeziehen. Die ÖVP ist die Partei der großen profitorientierten Banken und Unternehmen, die überhaupt kein Interesse daran hat, am fossilen Status Quo etwas zu ändern. 91 Prozent der österreichischen Fonds sind laut einer Studie der ESG Plus GmbH in fossilen Energieträgern investiert. In Österreich werden jährlich mindestens 3,25 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen ausbezahlt, wie kürzlich die Umweltschutzorganisation WWF aufgedeckt hat.
Die OMV ist mit 21 Milliarden Euro Umsatz das größte Unternehmen Österreichs. 2018 unterzeichnete der Konzern Offshore-Konzessionsabkommen für zwei Ölfelder und ein weiteres für Offshore-Gasfelder in Abu Dhabi. Dies würde „die Reserven erhöhen und die Produktion steigern und damit maßgeblich zur Erreichung der strategischen Ziele beitragen“, so der offizielle Geschäftsbericht 2018. Die ÖVP wird deren Interessen und „strategischen Ziele“ verteidigen, unter ihr wird es keine zeitgerechte Energiewende geben. Angesichts der Dringlichkeit zum Handeln und der angebrachten Ungeduld vieler Klimaaktivist_innen sollte das starke ÖVP-Ergebnis in unseren eigenen strategischen Überlegungen eine zentrale Rolle spielen. Die Türkisen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Bleibt zu hoffen, dass sich die SPÖ nach dem historisch schlechtesten Wahlergebnis einiger dieser Lehren zu Herzen nimmt. Dass die gescheiterte Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner noch am Wahlabend den bisherigen Weg fortsetzen wollte („Die Richtung stimmt!“), grenzt nach einer derartigen Niederlage schon an satirische Tagespresseartikel. Der Weg muss jetzt schonungslos beendet und eine ganz andere, offensive Richtung nach links – Antifaschismus, Antirassismus und Klimagerechtigkeit ins Zentrum – eingeschlagen werden.