Zerstörung des Flüchtlingscamps in Calais bringt Kinder in Gefahr

Am Dienstagmorgen, 25. Oktober, begann die französische Regierung das Flüchtlingslager in Calais abzubauen. Derzeit leben dort 8.000 Menschen aus verschiedenen Ländern, darunter 1.300 unbegleitete Kinder. Sie warten auf eine Möglichkeit nach Großbritannien zu gelangen, in der Hoffnung, dass sie dort Asyl bekommen.
26. Oktober 2016 |

Um den „Dschungel“ – das von Flüchtlingen improvisierte Notaufnahmelager in der Hafenstadt Calais – abzubauen, muss die französische Regierung zuerst die Menschen aus dem Camp entfernen. Am Montag, 24. Oktober, fingen die Behörden an Flüchtlinge mit Bussen zu Durchgangslagern in ganz Frankreich zu transportieren.

Dort stehen sie vor der Wahl: Asylantrag in Frankreich oder Abschiebung in ihre Herkunftsländer. Wenn sie sich für Ersteres entscheiden, kann es bis zu vier Monate dauern, bis sie einen Asylbescheid bekommen. Natürlich ist es möglich, dass sie auch nach dieser Wartezeit abgeschoben werden – auch wenn sie aus Ländern kommen, in denen derzeit Krieg herrscht, wie etwa Afghanistan oder Sudan.

Völliges Chaos

Am Dienstagmorgen kam es zu mehreren Handgemengen, als die Polizei versuchte das Lager zu räumen. In einer Umfrage des Refugee Rights Data Project sagen fast zwei Drittel der Bewohner_innen, dass sie nicht aus dem Lager abtransportiert werden wollen. Ein Drittel gibt an, sie würden weiterhin versuchen, es nach Großbritannien zu schaffen.

Im Räumungschaos sind die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen besonders gefährdet. Daniela, eine Hilfsmitarbeiterin in Calais, sagte gegenüber der britischen Zeitschrift Socialist Worker: „Kinder verschwinden zwangsläufig wegen des Mangels an Organisation, Personal und Informationen.“

Es gebe zwar ein Jugendzentrum im Lager, das die Kontaktinformationen der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen sammle, aber viele von ihnen hätten keine Handys und keine Kontaktnummer. „Die Lösung ist jetzt die sofortige Einstellung der Räumung und des Abbau des Lagers“, forderte Daniela.

Politik hinter der Zerstörung

Warum wird das Lager ausgerechnet jetzt abgebaut? Die französische Innenpolitik spielt hierbei eine zentrale Rolle. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im Jahr 2017 fordern die rechte Partei Les Républicains (ehem. Union pour un mouvement populaire) und der faschistische Front National in einer Art rechtspopulistischem Wettbewerb, wie er ähnlich auch in Österreich zwischen der ÖVP und der FPÖ stattfindet, immer lauter die Zerstörung des Camps.

Auch der sozialdemokratische Präsident François Hollande verlangte mehrmals den Abbau des Lagers. Hollande zerstört die Hoffnung von tausenden Menschen, in einem Land ohne Krieg zu leben, und bringt hunderte Kinder in noch größere Gefahr als die, in der sie jetzt leben.

Grenzübergreifende Solidarität im französischen Calais

Grenzübergreifende Solidarität im französischen Calais

Wie die von der österreichischen Regierung durchgeführte Schließung der Balkanroute sollte der Abbau als Teil einer Strategie funktionieren, Menschen zu entmutigen, nach Frankreich, Großbritannien und in andere west- und nordeuropäischen Ländern zu fliehen, ohne die Ursachen ihrer Flucht zu bekämpfen.

Calais zeigt, wie diese Strategie der Entmutigung von mehreren angeblich liberalen westeuropäischen Staaten konsequent durchgeführt wird – ohne Rücksicht auf die menschlichen Tragödien, die sie verursacht.

Großdemonstration #LetThemStay #LasstSieBleiben: 26. November, 14 Uhr Westbahnhof. Mehr Infos: menschliche-asylpolitik.at | Facebook
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.