Weltflüchtlingstag: 5.000 Antirassisten „crashen“ Party von Kanzler Kurz
Die Kleine Zeitung titelte „Am Weltflüchtlingstag Kanzlerfest von Gegendemo begleitet“, der ORF online und Standard „Erstes Kanzlerfest von Gegendemo begleitet“, Bilder der Proteste waren überall zu sehen. ORF-Wien heute stieg gar direkt mit „Demo gegen Asylpolitik“ in die Nachrichten ein. Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, mussten dank der Proteste und Polizeiabsperrungen viele Gäste beim „Kanzlerfest“ von Sebastian Kurz einen Spießrutenlauf absolvieren. Einige kamen verspätet an, wie oe24.at berichtet hat. Journalist_innen befragten die Gäste am Fest immer zu den Demonstrationen; der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wurde genötigt, sich als „demo- und widerstandsgeeicht“ zu outen.
Christine war mit knapp 30 Leuten bei einer Kundgebung direkt neben dem Palais Schönburg, wo Kurz zum Fest lud. Sie sorgten ordentlich für Lärm und „crashten die Party“, wie die Boulevardblätter schon vorab ankündigten. Im Gespräch mit Linkswende jetzt sagte Christine: „Wir haben die Gäste, die zum Kanzlerfest wollten, direkt angeschrien und ausgepfiffen, als sie durch die Absperrungen wollten. Manchen haben wir den Weg verstellt und sie mussten sich an uns vorbei zwängen, während wir ‚Schande über euch‘ gerufen haben.“ Der Hauptzug der Demonstration zog zeitgleich mit 5.000 Menschen vom Hauptbahnhof über die Favoritenstraße Richtung Karlsplatz. Weitere 100 demonstrierten in Klagenfurt.
Strich durch die Rechnung
David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, die zum Protest aufgerufen hatte, sagte: „Dieser Tag heute steht ganz im Zeichen des Schutzes für Menschen, die vor Krieg, Folter und Terror fliehen müssen. Die österreichische Regierung versuchte diesen Tag umzudeuten, aber das ist ihnen nicht gelungen. Tausende Menschen haben ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht und für offene Grenzen und sichere Fluchtwege für schutzsuchende Menschen demonstriert – dafür wollen wir recht herzlich Danke sagen!“
Zu Beginn am Hauptbahnhof und dann noch einmal beim „Kanzlerfest“ machten die Demonstrant_innen ihrer Empörung in einer Schreiminute Luft. Marthe war nach der Demo noch immer hellauf begeistert: „Eigentlich war schon damit alles gesagt, dass die Leute nicht aufhören wollten zu schreien, obwohl die Schreiminute längst vorbei war. Man hat die geballte Empörung, Wut und Fassungslosigkeit über die Unmenschlichkeit der Politik gespürt, niemand wollte aufhören zu schreien, niemand wollte leise sein.“
Selbstvertrauen
Viele Engagierte aus den unterschiedlichsten Flüchtlingsinitiativen und der Zivilgesellschaft sowie zahlreiche Flüchtlinge aus Afghanistan und anderen Ländern trugen den Protest. Bunte Regenschirme als Zeichen des Schutzes für Geflüchtete und selbstgebastelte Schilder und Plakate prägten die Bilder. „Wir wollen zeigen, dass wir noch immer ganz, ganz viele sind, die aufstehen“, sagte Maria Mayrhofer von der Initiative #aufstehn. „Auf unserer Plattform mein.aufstehn.at starten gerade ganz viele Menschen Kampagnen und Petitionen und werden aktiv, zum Beispiel wenn es um die Auflösung von Flüchtlingsunterkünften geht oder wenn Innenminister Kickl von Massenquartieren spricht.“
„Wir wollen, dass Flüchtlinge wieder als ganz normale Menschen wahrgenommen werden. Mit all ihren Hoffnungen, Träumen und Ängsten. Was Flüchtlinge brauchen ist die Sicherheit in Frieden zu leben“, sagte Ariane Baron vom Flüchtlingsprojekt Ute Bock gegenüber Linkswende jetzt. „Gleich darauf braucht es Deutschkurse, ab dem ersten Tag. Und es braucht Zugang zum Arbeitsmarkt, damit Flüchtlinge möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen können. Österreich braucht eine aktive Zivilgesellschaft! Österreich braucht Solidarität!“
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Sebastian ist Zivildiener in einem Flüchtlingsheim. Er erzählte, dass er es überhaupt „nicht Okay findet, wenn Menschen in Länder abgeschoben werden, die definitiv nicht sicher sind“. Sarah sagte einfach nur kurz: „Weil Menschen Menschen sind.“ Eine Studentin meinte: „Die Menschenwürde ist unantastbar. Diese Regierung gefährdet unseren Frieden, und wir dürfen unsere Humanität nicht verlieren.“ Ein älterer Arbeiter sagte: „Die Regierung führt eine ausgesprochen chauvinistische Kampagne gegen Migranten im allgemeinen, aber gegen Muslime im Besonderen. Es ist Pflicht eines jeden Demokraten, gegen diesen Chauvinismus aufzustehen.“
Konzentrationslager
Die EU-Kommission berät derzeit über „große Sammellager“ für Flüchtlinge in Afrika. Schlimm genug, dass wieder Menschen „konzentriert an einem Ort“ (Innenminister Kickl) gehalten werden und dass beabsichtigt wird, dass Menschen nur mehr dort Asylanträge stellen und ihre Verfahren nur dort abgewickelt werden und damit das Menschenrecht auf Asyl de facto außer Kraft gesetzt wird (niemand wird mehr in Österreich um Asyl ansuchen können). Beim Treffen zwischen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Innenminister Herbert Kickl und dem italienischen Innenminister Matteo Salvini (Lega Nord) am gleichen Tag in Rom ließen sie durchblicken, dass sie eigentlich noch viel weiter gehen wollen.
Strache kündigte in der ORF-Sendung Zeit im Bild 2 unverblümt an, dass künftig überhaupt keine Asylanträge mehr für Europa gestellt werden könnten. Er sagte, es „ist ja die Frage nicht geklärt, ob dort (in den Massenlagern in Afrika, Anm.) ein Asylantrag für Europa möglich sein soll. Es kann ja ein Asylantrag am afrikanischen Kontinent möglich werden“. Denn es sei „auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten, dass Menschen aus allen Kontinenten dieser Welt nach Europa aufbrechen“. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik bezeichnete die „Achse Berlin-Wien-Rom“ zu Recht als „Achse der Schande“, wie die grüne Landesabgeordnete Faika El-Nagashi in ihrer Rede auf der Schlusskundgebung am Karlsplatz betonte.
Breite ist Schlüssel
Die Demonstration war von einer Vielzahl an Organisationen getragen, von der Sozialistischen Jugend, der Volkshilfe, den Wiener Grünen, Linkswende jetzt, dem Flüchtlingsprojekt Ute Bock und vielen, vielen anderen und machte Mut für weiteren Widerstand gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik kündigte für die große ÖGB-Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag am 30. Juni bereits ihre Teilnahme an und plant weitere Proteste während der EU-Ratspräsidentschaft unter Führung der österreichischen Regierung.
Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, sagte in seiner Rede: „Die Menschenrechte werden bedroht, angegriffen und schrittweise abgebaut. Sie werden, wie eine nicht mehr gewollte Bekleidung, Schicht für Schicht abgestreift … Schützen wir uns wechselseitig. Widerstand ist nötig und ein gemeinsamer Akt.“
Redaktionelle Mitarbeit von Stefan Severin.