Lasst uns lauter werden!

Margit Huber organisierte mit Kolleg_innen mehrere Mahnwachen gegen Abschiebungen in Groß-Enzersdorf. Sie schrieb uns einen Leserinnenbrief über die Notwendigkeit, Widerstand gegen die unmenschliche Abschiebepraxis des österreichischen Staates zu organisieren.
24. November 2016 |

Es tut weh, wenn Menschen, die man über viele Monate begleitet hat, denen man geholfen hat, sich hier in Österreich zurecht zu finden, denen man geholfen hat, langsam wieder zu sich selber zu finden, die begonnen haben, sich hier zuhause zu fühlen, ständig Angst haben. Diese Angst ist keine Folge ihrer Traumatisierung durch Krieg, Terror und Flucht.

Diese Angst verursacht unser Staat. Erst wurden die Flüchtlinge auf der Balkanroute durchgewunken, sie bekamen Reisedokumente, Zugtickets, wurden über Grenzen eskortiert. Es wurde ihnen versichert, es diene nur der geordneten Weiterreise, wenn sie ihre Fingerabdrücke hinterlassen würden. Sie waren dankbar, sie waren in Sicherheit, endlich.

Lasst euch eure Schützlinge nicht einfach wegnehmen, macht Wirbel, zeigt die Unmenschlichkeiten des Systems auf!

Dann – nach vielen Monaten, in denen sie sich hier integriert haben, Freunde und Familienanschluss gefunden, die neue Sprache gelernt und sich angepasst haben – teilt ihnen unser Staat mit, sie seien hier unerwünscht, könnten hier nicht um Asyl ansuchen. Sie müssten zurück in einen der Staaten, durch den sie – mit staatlicher Billigung und Unterstützung – geschleust wurden.

Das nennt sich Dublin III-Verordnung. Österreich kann die Asylwerber zurückschicken in das erste EU-Land, das sie betreten haben – Griechenland ist aus Menschenrechtsgründen außen vor –, also betrifft dies sehr oft Kroatien, Bulgarien und bald wohl auch wieder Ungarn. Österreich könnte sich aber auch für zuständig erklären und diesen Menschen, die hier Wurzeln geschlagen haben, das Recht einräumen, hier um Asyl anzusuchen. Das tut es aber nicht.

Frauenpower gegen Abschiebungen!

Frauenpower gegen Abschiebungen!

Also haben viele Menschen aufs Neue Angst – und ich auch. Ich habe Angst, dass ich meine Freunde verliere und meine vier Söhne, die mir dieses Jahr geschenkt wurden. Jeden Morgen ab sechs Uhr beginnt das bange Warten: Kommt die Polizei heute? Werden sie heute abgeschoben? Und irrationale Hoffnung keimt auf: Sie werden vergessen. Doch dieser Staat, in dem den Behörden ansonsten eher kein allzu großer Eifer nachgesagt wird, vergisst niemanden und zeigt kein Erbarmen.

Die „Integrationsverfestigung“ kann gar nicht so hoch sein, dass sie eine Rolle spielt: Bruder mit Asyl hier, Jobzusagen, Einbindung in Projekte auf Gemeindeebene, Familienanschluss – nichts hat Gewicht. Der Gesundheitszustand kann gar nicht so schlecht sein, dass er eine Rolle spielen würde: Suizidgefahr, chronische Krankheiten, die der laufenden Behandlung bedürfen, auch das spielt keine Rolle.Also haben wir gemeinsam Angst, Tag für Tag.

Und niemanden scheint das zu interessieren. Unsere angeblich christliche, angeblich soziale Regierung hat ihre Werte verkauft. Den Medien ist das Thema zu heikel. Auflagen, Werbeeinschaltungen und so. Nur nichts berichten, das nicht dem vorherrschenden Zeitgeist entspricht. Und der ist geprägt von irrationalem Neid und unglaublichem Hass.

Doch wir dürfen nicht zulassen, dass uns diese Angst lähmt. Wir müssen diese Angst, das Gefühl der Machtlosigkeit, die maßlose Menschenverachtung in die Welt hinausschreien. Wer das macht, ist der lähmenden Machtlosigkeit schon einen Schritt entkommen. Unsere Stimmen werden gehört, irgendjemand hört immer zu. Und der sagt es weiter an drei Andere. Und diese an 12 und plötzlich hören Viele deine Worte.

Koordinierte Mahnwachen weiten Bewegung gegen Deportationen aus

Koordinierte Mahnwachen weiten Bewegung gegen Deportationen aus

Es beginnt immer im Kleinen, aber manchmal machen viele kleine Stimmen einen großen, unüberhörbaren Chor. Daran will ich glauben. Darauf baue ich.Ich will nicht kampflos zusehen, wie man den Menschen, die mir so ans Herz gewachsen sind, aus ihrer neuen Heimat vertreibt. Und ich erlebe es jeden Tag mehr: Ich bin dabei nicht allein. Viele andere kämpfen denselben Kampf. Und gemeinsam finden wir Mittel und Wege und Lösungen. Und gemeinsam sind wir stärker und lauter.

So haben wir es geschafft, dass die uns ans Herz gewachsene und kürzlich nach Kroatien abgeschobene Familie Abuteir nun ihr Verfahren in Österreich abwarten dürfen. Am Sonntag, 20. November, kamen sie zu uns zurück. Laut sein zahlt sich aus, liebe Menschen, lasst euch eure Schützlinge nicht einfach wegnehmen, macht Wirbel, schreibt darüber, zeigt die Unmenschlichkeiten des Systems auf! Also, liebe Menschen mit Herz: Schreit, seid laut!

Margit Huber
Groß-Enzersdorf

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.
Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider