Protest muss auch ins Parlament
Es erscheint ziemlich absurd: Trotz massiver Probleme der Regierung behält Kanzler Kurz in Umfragen seine Spitzenposition. Die Erklärung dafür liegt im Fehlen eines würdigen Gegners, denn solange die Oppositionsparteien keine enttäuschten Wähler_innen von den Regierungsparteien abziehen können, bleiben diese sprichwörtlich unangefochten.
Nicht am Spielfeld
Politikberater Thomas Hofer kommentierte das Verhalten der Oppositionsparteien ganz treffend: Sie sind (mit Ausnahme der NEOS, die aber in sozialen Fragen selbst sehr weit rechts stehen) „nicht wirklich am Spielfeld!“ Das wird spätestens dann schmerzhaft spürbar, wenn es eine Serie „aufgelegter Elfmeter“ gibt und niemand in den gegnerischen Strafraum kommt, um sie zu schießen. In den letzten zwei Monaten hatte die Opposition einige Gelegenheiten, sich zu beweisen: Den Skandal um die Nazi-Lieder, die in Burschenschafter-Buden gesungen werden, das „Don’t Smoke Volksbegehren“ und den BVT-Skandal um Herbert Kickl.
Wollte man den Elfmeter im Nazi-Lieder-Skandal ins Tor kicken, dann müsste man nichts anderes tun, als die entsprechenden FPÖ-ler auch als Nazis zu bezeichnen. Wie sonst sollte man auch Politiker bezeichnen, die aus deutschnationalen Verbindungen kommen, in denen Nazi-Traditionen am Leben erhalten werden? Und man müsste natürlich zu Protesten aufrufen und den Ausschluss von deutschnationalen Burschenschaftern aus allen heiklen Ämtern fordern und jede Zusammenarbeit mit ihnen verweigern. Schon klar, dass das ein großer Bruch mit dem bisher mit der FPÖ gepflegten Umgang wäre – nötig ist er trotzdem. Sonst können sie nicht die Stimme für all die engagierten Antifaschist_innen sein, die in den vergangenen Monaten auf die eine oder andere Weise protestiert haben.
SPÖ grundelt dahin
Ähnlich unbefriedigend war der Auftritt der SPÖ nach dem BVT-Skandal. Bei der Sondersitzung im Parlament machten die SPÖ-Politiker nicht gerade den Eindruck, sie hätten die Tragweite dessen verstanden, was wir nach derzeitigem Wissensstand der Medien als „generalstabsmäßigen Putsch im Innenministerium“ bezeichnen müssen. Dabei sind das Themen, wo die SPÖ nicht Gefahr läuft, ihre eigene Politik aus der Zeit im Regierungsamt zu kritisieren.
Sehr deutlich zeigt das „Don’t Smoke Volksbegehren“, dass unter den Regierungsgegner_innen in der Bevölkerung ein stark ausgeprägtes Bedürfnis danach besteht, der Regierung weh zu tun, wo es nur geht. Ende März sind es schon bald 600.000 Unterschriften für die Beibehaltung der 2015 beschlossenen Novelle zum Nichtraucherschutzgesetz! Der SPÖ traut man solche „Killerinstinkte“ leider nicht zu, sonst würden ihre Umfragewerte in der wöchentlichen Sonntagsfrage deutlicher zunehmen. Sie hat sich von 26 Prozent auf 28 Prozent gesteigert, scheinbar auf Kosten der FPÖ, aber die ÖVP bleibt trotz der blamablen Performance bei 31 – 32 Prozent.
Passivität wird bestraft
Die SPÖ muss sich endlich am Riemen reißen und schonungslose Oppositionspolitik machen. Sie kann nicht den Kopf in den Sand stecken, ihre Basis unter den Schlägen der Regierung fünf Jahre lang leiden lassen und auf die Zeit danach spekulieren. Schon der ehemalige SPÖ-Chef Gusenbauer hat in der Regierungszeit von Schwarz-Blau I bewiesen, dass man mit Stillhalten als Oppositionspartei nichts gewinnen kann. Bei der Neuwahl im Jahr 2002 hat die SPÖ nur 3,3 Prozent dazugewonnen, die regierende ÖVP dagegen 15,3 Prozent.
Die SPÖ braucht auch nicht darauf hoffen, dass sie sich nach Schwarz-Blau gemütlich ins gemachte Bett legen und in aller Ruhe regieren kann – nachdem alle unpopulären Reformen längst umgesetzt sind. Die FPÖ wird bis dahin den Staatsapparat und die staatlichen Betriebe umgefärbt, sprich mit ihren Leuten besetzt haben, und die werden sich nicht vornehm zurückhalten. Sie würden jedem SPÖ-Minister das Leben so schwer machen, wie nur irgend möglich. Vor allem deutschnationale Burschenschafter sind echte Überzeugungstäter.
Dynamik riskieren
Die SPÖ muss sich endlich zusammenreißen und aggressive Oppositionspolitik machen. Sie soll sich ein Beispiel an der Protestbewegung nehmen, in der gerade ihre Basis ganz aktiv involviert ist. Natürlich fürchtet die SPÖ-Führung den Radikalisierungsprozess, den sie damit bei ihren Mitgliedern auslösen würde, aber das Risiko muss sie eingehen. Jeremy Corbyn in Großbritannien hat vorgemacht, wie gut eine sozialdemokratische Partei dann abschneiden und welche Begeisterung sie vor allem bei der jungen Generation auslösen kann. Und das ist genau, was wir brauchen.