Blick aus dem Fenster

Auf physische Distanz gehen kann dieser Tage Menschenleben retten – aber damit ist nicht gemeint, gesellschaftliche Distanz, Verdrängen und Wegschauen. Wohin die autoritär durchgesetzten Maßnahmen auch führen können, darüber macht sich Katharina Anetzberger in ihrem Gedicht „Blick aus dem Fenster“ Gedanken.
29. März 2020 |

Und dann gingen wir alle nach Hause,
sperrten uns ein
selbstlos
zum Schutz der Schwachen, der Kranken und Alten.

Und dann schauten wir alle durchs Fenster
und beschimpften die Schwachen
die egoistisch
einfach nicht nach Hause gingen.

Und wir sperrten uns ein
und die aus,
die sich nicht selbstlos nicht egoistisch aber unfreiwillig
nicht einsperren konnten.

Und so mussten wieder die draußen bleiben
die es nicht anders kannten.
Umgeben von Meeresbrise und Wüstenhitze
im Mund den Geschmack von Blut.

Und wieder wurde denen,
die sie helfend ausstreckten
die Hand gefesselt und
der Mund schützend verklebt.

Und endlich gleichgemacht trugen
den Mundschutz auch Herren
zum Schutze der Mägde und Knechte
und deren Großeltern.

Und so sahen wir hinter den Schutzmasken
das hämische Grinsen nicht
und auch nicht die bluttropfenden Hände
eingewühlt in Geldscheinen.

Und wir jubelten ihnen zu
dichteten ihnen Hymnen
und bedankten uns, dass sie uns schützend
einsperrten.