Strukturelle Ungleichheiten an Universitäten in Zeiten von Corona

Vincent Kretschmer, Aktivist von Linkswende jetzt, studiert Soziologie an der Universität Wien. In einem Leserbrief warnt er, dass die Coronakrise die schon bestehenden Ungleichheiten an den Universitäten vergrößert. Er argumentiert für die Abschaffung aller Studiengebühren und Bekämpfung der kapitalistischen Ursachen der Pandemie.
28. März 2020 |

Der Corona-Virus und die darauffolgenden Maßnahmen der Regierung haben einschneide Veränderungen für alle Österreicher_innen bedeutet.

Und eine nähere Analyse dieser Veränderungen lohnt sich, denn der Corona-Virus kann als ein Faktor verstanden, der in unserer Gesellschaft virulente soziale Probleme potenziert. Man denke an Obdachlose oder Flüchtlinge, die sich existenziellen Problemen gegenübergestellt sehen, doch auch an den Universitäten werden die strukturellen Ungleichheiten sichtbarer.

Während EU-Bürger_innen an der Universität Wien nur den ÖH-Beitrag in Höhe von 20€ zahlen müssen, zahlen Studierende aus Drittstaaten einen Beitrag von sage und schreibe 750€ pro Semester.  Hier kann man von kolonialen Kontinuitäten sprechen. Wer nicht aus dem selbstpostulierten intellektuellen Zentrum Europas kommt, wird vor zusätzliche, teils nicht überwindbare Hürden gestellt.

Und die Umstellung auf home-learning führt dies nun gänzlich ad absurdum: Schafft man es, jene Hürden, von den Studiengebühren bis zum Visum, zu überwinden und reist nach Wien, wird man von der Universität nach einer Woche nach Hause geschickt – man solle doch von dort lernen. Von den Lebensrealitäten der Studierenden kein Wort, man kann geradezu von einer Verhöhnung sprechen.

Nicht nur den Studierenden aus Drittstatten geht es so, auch alleinerziehenden Studierenden, die nicht nur selbst online lernen, sondern zusätzlich auch noch als Lehrer_innen-Ersatz ihre eigenen Kinder unterrichten sollen, oder arbeitenden Studierenden, die angesichts der Krise um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, um nur einige Gruppen zu nennen, sehen sich mit fundamentalen Problemen konfrontiert.

Doch diesen Problemen liegt ein tiefergehendes Phänomen zugrunde: Die extensive Kolonialisierung des akademischen Systems und der hiesigen Hochschullandschaft durch kapitalistische Prinzipien. Anstatt die Universität als Ort des Politischen zu verstehen und Raum für den kritischen Diskurs zu schaffen, der heute, wenn unsere Grundrechte von der Regierung beschnitten werden, nötiger ist als je zuvor, geht es nur darum, möglichst alle Prüfungen noch irgendwie im Semester unterzubringen.

Ganz im Sinne des meritokratischen Ideals, den Studierenden darf nichts geschenkt werden, egal, was passiert, für ihre ECTS müssen sie schließlich etwas leisten. Im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien thront die Inschrift: „die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“. Doch mit der heutigen Hochschulpolitik, von den Studiengebühren bis zum Kampf um Forschungsgelder, lässt sich das kaum mehr ernst nehmen.

Mit der Corona-Krise werden wir uns der stets vorhandenen Probleme unserer Universitäten wieder stärker bewusst. Wir müssen sie als Ausgangspunkt nehmen, um für die Dekolonisierung des akademischen Systems vom kapitalistischen Imperialismus zu kämpfen, doch dürfen wir nicht bei der der Bekämpfung der Symptome stehen bleiben, sondern müssen langfristig weiterdenken. Dennoch muss das der erste Schritt sein, weswegen ich euch alle auffordere, euch, jetzt mehr als je zuvor, für die Abschaffung der Studiengebühren einzusetzen.

Vincent Kretschmer

Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider