„Die grösste Komplikation ist der Iran“

Auf der einen Seite Unterstützung für Saudi-Arabien, auf der anderen Seite ein Atomdeal mit dem Iran – Präsident Obama tariert die US-Außenpolitik im Nahen Osten neu aus. Alex Callinicos skizziert die Herausforderungen
8. Mai 2015 |

marx21.de: Trotz früherer gegenteiliger Aussagen, sie hätten die Luftschläge eingestellt, setzen die Saudis ihre Angriffe gegen die Huthi-Milizen fort. Wofür kämpft Saudi-Arabien?

Alex Callinicos: Werfen wir zunächst einen Blick auf die allgemeine Lage des saudischen Königshauses. Dieses herrscht über ein bedeutsames konservatives sunnitisches arabisches Regime, das die politische Führung in der Golfregion innehat – ein wichtiges kapitalistisches Zentrum der Weltwirtschaft mit Kapitalinteressen im gesamten Nahen Osten und global. Aber es lauern viele Gefahren. Der Schieferöl-Boom in den USA fordert Saudi Arabiens Stellung als Hauptölproduzenten heraus.

Hinzu gesellen sich politische Bedrohungen innerhalb der Region. Seitens des Irans gleich doppelt – geopolitisch und ideologisch, da der Iran eine konkurrierende Auslegung des Islams vertritt, den Schiismus, und sich rhetorisch anti-imperialistisch positioniert –, aber auch seitens der arabischen Revolutionen. Einer der unmittelbaren Nutznießer der Rebellionen von 2011 war die Muslimbruderschaft in Ägypten und in Syrien, die für die Saudis einen mindestens genau so großen Dorn im Auge darstellt wie der Iran, weil sie ihre ideologische Stellung als Schutzherren des orthodoxen sunnitischen Islam herausfordert.

Die US-Besatzung des Irak und die Entmachtung Saddam Husseins haben der bislang unterdrückten schiitischen Mehrheit des Lands die Möglichkeit zur Selbstbehauptung eröffnet und damit Raum für den wachsenden iranischen Einfluss geschaffen. Die Saudis schlugen zurück, indem sie die syrische Revolution in eine sektiererische sunnitische Richtung lenkten und indem sie die Konterrevolution in Ägypten unterstützten (die die Bruderschaft besonders ins Visier nimmt). Aus all dem entstand die IS. Das hat die Position des Assad-Regimes wiederum gestärkt, das von Teheran unterstützt wird. Vor kurzem brüstete sich ein iranischer Parlamentsabgeordneter, der Iran würde nunmehr drei große arabische Hauptstädte dominieren – Beirut, Bagdad und Damaskus.

Die Saudis, unter dem neuen König Salman, der die königliche Erbfolge und wichtige Ministerien umbesetzt hat, schlagen nun zurück. Sie hatten sich zuvor bereits geweigert, die Ölproduktion zu drosseln, und haben damit dem Preisverfall freien Lauf gelassen, weil sie hoffen, so die US-amerikanischen Schieferölkonzerne, deren Profitabilität von hohen Ölpreisen abhängt, in den Bankrott zu treiben. Und jetzt haben sie diese große Militäroperation in Jemen orchestriert, um den Sieg der schiitischen Huthi-Milizen zu stoppen. Die Saudis leiden unter Paranoia in Bezug auf den wachsenden iranischen Einfluss und befürchten, dass die Huthi lediglich einen Finger von Teherans Hand darstellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die saudische Nationalgarde erst im Jahr 2011 in Bahrain, einem Nachbarland mit einer unterdrückten schiitischen Mehrheit, militärisch intervenierte, um die dortige Revolution niederzuschlagen.

Die USA unterstützen die saudischen Angriffe auf die Huthi-Milizen. Gleichzeitig schließen sie ein Abkommen mit dem Iran über dessen Nuklearprogramm und setzen sogar auf ein Bündnis mit den Iranern im Kampf gegen IS in Syrien und im Irak. Welche strategischen Ziele verfolgen die USA in der Region?

Bereits vor seiner Regierungsübernahme sprach Obama von einem möglichen Deal mit dem Iran. Er wollte die US-amerikanische imperiale Beherrschung des Mittleren Ostens vor dem Hintergrund der Niederlage im Irak neu kalibrieren. Seine Strategie sieht vor, Regionalmächte wie Saudi-Arabien, die Türkei, Israel und den Iran zu ermuntern, bei der Bewältigung lokaler Krisen in die vorderste Reihe zu treten. Aber diese Mächte haben natürlich ihre eigenen sich widersprechenden Interessen. Das kommt den USA insofern entgegen, weil es ihnen erlaubt, eine Teile-und-herrsche-Politik zu betreiben und keinem die Vorherrschaft in der Region einzuräumen. Aber eine solche Politik kann auch sehr kompliziert sein, und die größte Komplikation ist der Iran. Als Bush und Cheney den Iran im Jahr 2005/06 angreifen wollten, veranstaltete das Pentagon praktisch eine Meuterei, um das zu verhindern. Es ist mehr oder minder unvorstellbar, dass die USA den Iran erfolgreich besetzen könnten – ein viel größeres und bevölkerungsreicheres Land als der Irak und dazu mit einem in der Bevölkerung verankerten Regime.

Obamas Alternative ist der Abschluss eines Nuklearabkommens mit Teheran. Aber das, was Henry Kissinger »Kopplung« zu nennen pflegte – in diesem Fall das Abkommen als ersten Schritt zu einer Kooperation zwischen beiden Ländern in anderen Fragen – ist mürbe. Der Iran verfolgt seine eigene Agenda mit der Unterstützung Assads in Syrien und im Kampf gegen IS im Irak. Im letzteren Fall decken sich sogar Irans Interessen mit denen der USA, das ist aber längst kein Bündnis. US-Kommentatoren weisen zu Recht darauf hin, dass die iranischen Revolutionsgarden und manche der irakischen schiitischen Milizen, die zur Zeit gegen IS kämpfen, die gleichen sind, die US-Soldaten während der Besatzung töteten.

Ein Hemmschuh für Obama ist, dass eine weitere Annäherung an den Iran die Saudis noch wütender und paranoider machen würde als ohnehin. Die US-Unterstützung für die Saudis in Jemen dient zwei Zielen – IS und Al-Qaida draußen zu halten und die Saudis zu beschwichtigen. Aber die Bombardierungen scheinen wenig Wirkung zu zeitigen und die Saudis scheuen sich offensichtlich davor, Bodentruppen reinzuschicken. Der große arabische Nationalist Gamal Abdel Nasser führte während der 1960er Jahre einen Stellvertreterkrieg im Jemen, der seine Macht im eigenen Land und in der Region nur schwächte. Eine Reihe Staaten, die die Saudis in die Militärkampagne einzubinden versuchten – Pakistan, die Türkei und Ägypten – lehnten ab. Die USA sind offenbar der Meinung, dass die Saudis im Jemen nur Chaos verursachen, wollen sie aber nicht zur Rechenschaft ziehen aus Furcht, sie noch mehr zu vergrätzen.

Kann mit dieser Strategie Frieden in der gesamten Region erreicht werden?

Natürlich nicht! Außerdem sollten wir uns nicht vormachen, dass die USA überhaupt Frieden wollen. Obama hat schließlich den eh schon possenhaften »Friedensprozess« zwischen Israel und den Palästinensern nun endgültig ad acta gelegt. Der Einsatz ist die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft des US-Imperialismus in einer Schlüsselregion der Weltwirtschaft. Wenn das Tod und Leid bedeutet, sei es drum. Obama zieht die Fortsetzung des schrecklichen Kriegs in Syrien einem Sieg jener Kräfte, die ihm nicht passen – ob Assad oder IS – vor.

Von Jemen über Syrien und den Irak bis hin zur Ukraine im Osten und Mali im Süden … kann man von einem globalen Anstieg der Konflikte reden?

Allerdings. Wobei, mit Ausnahme Syriens, die Zahl der Getöteten wesentlich unter den Opferzahlen der großen Kriege des Zeitalters des Kalten Kriegs liegt – Korea, Vietnam, Iran-Irak, Afghanistan etc. Die tiefer liegende Ursache ist die relative Schwächung der US-Hegemonie im Kontext der größten kapitalistischen Krise seit den 1930er Jahren. Das zeigt sich besonders deutlich im Nahen Osten, wo die bestehende politische Ordnung zwei Hammerschläge erlitt – die Invasion des Irak und die anschließende Niederlage der Besatzung, und danach die arabischen Revolutionen.

Aber auch im Fall der Ukraine zeigt sich, dass Putin zwar defensiv reagiert, um eine weitere Ausdehnung des EU-NATO-Konglomerats bis an die Grenzen Russlands zu verhindern, aber durch den relativen Niedergang der USA an Selbstvertrauen gewonnen hat. Siehe beispielsweise, wie er Obamas angedrohten Luftangriff auf Assad wegen dessen Chemieangriffe im September 2013 vereitelte.

Bei all dem dürfen wir nicht die tektonischen Verschiebungen im Zug von Chinas Aufkommen als zweitgrößte Wirtschaftsmacht und größter Produzent und Exporteur von Fertigwaren außer Acht lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich Peking außerhalb des Bündnisgeflechts, das Washington nach dem Zweiten Weltkrieg gesponnen hat, befindet und sehr offen danach strebt, die geopolitische und militärische Vorherrschaft der USA in der Region Asien-Pazifik zu reduzieren, ist das langfristig das schwerwiegendste Problem für den US-Imperialismus. Die Konflikte treten nicht so an die Oberfläche wie im Fall der Ukraine oder des Nahen Ostens, aber Asien entwickelt sich zu einer Zone interimperialistischer Konkurrenz, die nicht nur die USA und China umfasst, sondern darüber hinaus Japan, Indien, Südkorea, Vietnam und andere.

Die Entwicklungen erinnern einen an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit ihren steigenden Konflikten zwischen den Großmächten. Das Ergebnis damals war ein globaler Krieg. Stehen wir heute vor der gleichen Bedrohung? Was können wir tun, um sie zu stoppen?

Es gibt Parallelen mit 1914. Zuerst wächst die geopolitische Konkurrenz. Ein weiterer und ganz entscheidender destabilisierender Faktor im beginnenden 20. Jahrhundert war ferner, dass sich die geopolitische und wirtschaftliche Konkurrenz gegenseitig verstärkten: Deutschland und die USA forderten Großbritanniens industrielle Vormachtstellung und seine Beherrschung der Weltmeere heraus, was es zu einem Bündnis mit der einen Seite zur Niederwerfung der anderen zwang. Ganz ähnlich ist heute China ein Hauptherausforderer der USA auf wirtschaftlichem Gebiet und baut zugleich sein militärisches Potenzial auf, um die amerikanische Vorherrschaft im Westpazifik zu beenden.

Aber wir sollten die Analogien nicht überbetonen. In den Jahren vor dem August 1914 geriet Europa zwischen zwei zunehmend antagonistische Großmächte. Heute gibt es nichts Vergleichbares. Die USA mögen schwächer sein, sie sind aber nach wie vor der bei weitem stärkste kapitalistische Staat und stehen nach wie vor im Zentrum eines Netzwerks wichtiger kapitalistischer Staaten. Und sie haben immer noch ausreichend Ellbogenfreiheit, um in Asien das Spiel des Teilens-und-Herrschens zu betreiben, um China zu isolieren. China hat hier mit seinen verschiedenen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer kleinere Mächte verschreckt und damit den Amerikanern in die Hände gespielt.

Mein Eindruck allerdings ist, dass die chinesische kommunistische Partei mit internen Problemen wie der wirtschaftlichen Verlangsamung, wachsenden Umweltschäden und Präsident Xi Jinpings Streben nach persönlicher Macht – mittels der Anti-Korruptionskampagne, der mehrere Prominente bereits zum Opfer fielen – beschäftigt ist. Solche Krisen daheim können sich in Zukunft in einer aggressiveren Außenpolitik seitens Pekings niederschlagen, das scheint aber gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung zu stehen.

Das ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Der Krieg in der Ukraine – den niemand erwartet hatte – ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie plötzlich gefährliche Krisen entstehen können mit dem Potenzial zu interimperialistischen Zusammenstößen. Das bekräftigt die Wichtigkeit, die Antikriegsbewegung weiter aufzubauen – aber ohne dabei für die eine imperialistische Macht gegen eine andere Position zu beziehen.

Das Lagerdenken – in diesem Fall, Russland und China als progressive Gegengewichte zu den USA zu betrachten – ist eine gefährliche Versuchung. Eine solche Parteinahme verdeckt die Tatsache, dass der Imperialismus ein System untereinander wetteifernder kapitalistischer Mächte ist. Die eine rivalisierende Macht gegen eine andere zu unterstützen, führt im Ergebnis zur Aufgabe unabhängiger linker Politik. Wir müssen Lenins und Luxemburgs Haltung während des Ersten Weltkriegs wahren, die die Idee bekämpften, dass das eine imperialistische Bündnis irgendwie dem anderen vorzuziehen wäre. Unser Ziel ist der Aufbau einer Massenbewegung, die das ganze System stürzen kann.

Übersetzung: David Paenson

Alex Callinicos ist Professor am King’s College London und Autor vieler Bücher, darunter "Die revolutionären Ideen von Karl Marx".
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.