Leserbrief: Flucht über das Mittelmeer überlebt
Ich habe mehr als 13.000 US-Dollar bezahlt, damit mich ein Schlepper nach Europa bringt – damit ich überleben kann. Er hat es geschafft, dass ich hier her kommen, dass ich viele Gefahren und Probleme (persönliche, politische, religiöse), die in meinem geliebten Land herrschen, überleben konnte.
Ich liebe mein Land und ich wollte es nicht verlassen. Aber wenn du das Gefühl hast, dass dein Leben in Gefahr ist, musst du es tun, so wie auch ich es getan habe.
Wir sind durch Wüsten, über Berge, Flüsse und Ozeane gefahren. Wir haben Stürme, Regen, Schnee und leere Bäuche ertragen, um Europa zu erreichen, um zu überleben. WIE VIEL GLÜCK HABE ICH, dass ich am Ende überlebt habe? Aber meine Freunde aus anderen Ländern, die ich niemals treffen werde können, und deren Gräber ich vielleicht nie besuchen kann, werden von Meeresfischen aufgefressen.
Sie waren meine Freunde, sie waren Söhne von Müttern und Vätern, Brüder der Brüder und Schwestern und Familie der Familie. Ich bin ein Zeuge. Ich bekam einmal einen Anruf von einem Freund: Bitte hilf uns, unser Schiff sinkt, bitte ruf die Polizei. Und leicht wäre er zu finden gewesen, laut weinend und schreiend. Sie waren in Mitten des Meeres und es war eine dunkle Nacht, es gab nur Mondlicht, es war zwei Uhr früh.
Nun stell dir vor, du wärst in diesem Schiff oder Boot, niemand kann deine Stimme und dein Weinen hören, mitten in der Nacht, tausende Meter entfernt von allen Küsten, stell dir vor wie dunkel dein Leben vor deinen Augen scheint, wie hoffnungslos deine Lage ist.
Nach vier Tagen wurde ich informiert, dass sie alle (12 Menschen) ertrunken sind. Unter ihnen waren zwei Kinder, um die fünf Jahre alt, mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Ihre Leichen wurden von der Polizei nie gefunden. Sie haben ungefähr so viel bezahlt wie ich, um die 13.000 US-Dollar. So viel Geld, um über die Straßen und das Meer zu kommen, wo doch ein Flug in der Business Class von meinem Land in jedes beliebige Land in Europa nur 1.000 bis 1.500 Dollar kostet.
Ich hoffe, dass eines Tages meine Freunde und Brüder, deren Leben in Gefahr ist, mit einem Visum kommen können, um in Europa zu überleben. Ich kann es euch ganz einfach sagen: Je fester die Grenzen zu sind, desto höher werden die Preise und desto größer wird auch die Gefahr.
Bitte findet eine bessere Lösung. Für die, deren Leben in Gefahr ist; für die, die in ihrem eigenen Land nicht überleben können.
Mustafa A.
Wien-Umgebung
Dieser Brief erreichte uns per Email und wurde von Hannah Krumschnabel aus dem Englischen übersetzt. Wir haben Mustafa danach gesprochen und halten seine Geschichte für absolut authentisch. Er kann nicht mit Sicherheit sagen, wo das Schiff gesunken ist, da er und seine Freunde nicht wussten, wo sie versteckt gehalten wurden und wo sie das Mittelmeer überquert haben. Wahrscheinlich sank das Schiff mit seinen Freunden irgendwo zwischen Griechenland (oder der Türkei) und Italien. Mustafa und seine Freunde flohen 2010 aus Afghanistan.