Flüchtlingshelferin: „Man muss Haltung zeigen, auch wenn Gegenwind droht“
Neue Linkswende: Du und dein Mann Herbert habt fünf syrische Flüchtlinge bei euch in Scharnstein aufgenommen. Ist euch der Entschluss schwer gefallen?
Martina Mayrhofer: Nein, überhaupt nicht. Wir waren letztes Jahr in Griechenland auf Urlaub und sind in der letzten Woche nach Idomeni an die mazedonische Grenze gefahren, wo 3.000 Flüchtlinge in der prallen Sonne warten mussten, ohne Wasser, ohne alles. Wir haben die Situation entlang der Fluchtroute kennengelernt und haben direkt von der steirisch-slowenischen Grenze eine Familie mitgenommen, die wir ins Herz geschlossen haben. Denen haben wir unser Haus überlassen.
Außerdem habt ihr die Initiative ergriffen und habt in eurer Gemeinde Scharnstein Unterstützer_innen gesammelt.
Ja, wir haben gemeinsam mit der Plattform Scharnstein hilft eine öffentliche Veranstaltung angekündigt und uns ganz offen der Diskussion gestellt!
Uns hat die Bewerbung für die Versammlung so gut gefallen: „Freiwillige Spenden werden zweckgebunden für Deutschkurse für unsere Asylwerber verwendet.“ Da bleiben keine Zweifel mehr. Das vermittelt Entschlossenheit! Wie ist die Versammlung verlaufen?
Viel besser als erwartet. Der Gemeindesaal war mit über 100 Leuten übervoll und wir haben aus allen Gemeindebüros noch Sessel herankarren müssen. Es ist auch wirklich viel gespendet worden, genügend für die Deutschkurse und die Busverbindung nach Kirchdorf.
Muss man sich auf einige Probleme einstellen? Angriffe von Rassisten? Eine Kampagne der lokalen FPÖ? Generell haben viele hilfsbereite Menschen Angst vor möglichem Zwist und vor Gegenwind in ihren Gemeinden. Was sagst du denen?
Man muss Haltung zeigen, auch wenn Gegenwind droht. Und man muss es richtig angehen, mit den Leuten reden und darf sich nicht verstecken. In Scharnstein haben wir insgesamt 50 Flüchtlinge und es funktioniert wirklich gut. Wir werden die Initiative auch weiter tragen und haben eine Einladung nach Bad Ischl, Adlwand und Vordorf im April. Man darf die Leute ganz einfach nicht in Massenlager pferchen, sondern sie brauchen Unterkünfte, wo sie mit den Nachbarn in Kontakt kommen können. Ich bin ja immer wieder aufs Neue darüber überrascht, wie engagiert sich die Menschen hier einsetzen.
Ihr wart beide schon länger engagiert und habt Hilfsgüter an viele Orte entlang der Fluchtrouten gebracht. Was haltet ihr von dem Ansatz der Regierung, die Flüchtlinge von der Reise nach Mitteleuropa abzuhalten? Von Obergrenzen und von Anhaltelagern?
„Dieses absichtliche Schüren von Angst und Vorurteilen macht mich so zornig. In unserer Gemeinde ist die Haltung gegenüber den Asylwerbern und unserem Engagement überhaupt nicht schlecht.“
Gar nichts, ich verstehe die Regierung nicht mehr. Es geht gegen jedes Menschenrecht und gegen europäische Gesetze. Am schwersten enttäuscht bin ich von der SPÖ. Es ist wirklich unfassbar, auch weil man weiß, was man Griechenland damit antut. Die wissen genau, wie es in Griechenland aussieht, und dass Griechenland das nicht bewältigen kann, und machen trotzdem solchen Druck. In Idomeni, an der Grenze zu Mazedonien, sitzen momentan 17.000 Leute fest.
Die Regierung hat eine inzwischen geläufige Rechtfertigung für ihre Politik der Abschottung: Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen seit dem vergangenen Herbst sei gekippt, die Belastbarkeitsgrenze sei überschritten. Müsst ihr das auch feststellen?
Für diese Behauptung gibt es schon eine Basis, aber weil die Regierung eine schlechtere Stimmung schürt. Dieses absichtliche Schüren von Angst und Vorurteilen macht mich so zornig. In unserer Gemeinde ist die Haltung gegenüber den Asylwerbern und unserem Engagement überhaupt nicht schlecht. Und so ist das in allen Gemeinden, wo die Bürgermeister dazu stehen und damit richtig umgehen. Das heißt, dass die Regierung auch ganz anders handeln könnte, und die Leute würden entsprechend offen reagieren. Die Stimmung ist im Vergleich zu letztem Herbst schlechter geworden; allerdings erst seit die Regierung Grenzen schließt, Zäune baut und ihre Behauptungen ständig wiederholt. Es ist eine andere Reihenfolge: Die Stimmung ist schlechter geworden, weil die Regierung mit ihrer Politik bewusst dafür sorgt, dass sie schlechter wird.
Was in Köln passiert ist, haben wir natürlich gespürt. Aber auch damit muss man ehrlich umgehen. Mein Mann, der an der Fachhochschule unterrichtet, hat eine Umfrage unter seinen Studentinnen gemacht. Zwei Drittel von ihnen sind schon Opfer sexueller Übergriffe geworden, zum Beispiel beim Urfahraner Markt, und zwar durch österreichische Männer, noch bevor die vielen Flüchtlinge angekommen sind.
Martin Mayrhofer ist linke Sozialdemokratin, leidenschaftliche Gewerkschafterin und Flüchtlingshelferin. Das Interview führte Manfred Ecker.