Frankeich: Streikbewegung eskaliert vorbildlich
Die Streiks können die Regierung stürzen und ein Vorbild für ganz Europa werden, wie man sich erfolgreich gegen Neoliberalismus wehrt. Seit nunmehr fast drei Monaten wird gegen das neue Arbeitsgesetz der Regierung mobilisiert. Der Protest, der als einfache Internet-Petition angefangen hat, legt mittlerweile die gesamte französische Wirtschaft lahm.
Die Proteste sind eine faszinierende Mischung aus organisierten und spontanen Streiks, Massendemonstrationen, Besetzungen und Blockaden wichtiger Infrastruktureinrichtungen.
Das Arbeitsgesetz ist zur Kraftprobe zwischen der französischen Regierung und der Arbeiter_innenklasse geworden.
Das Arbeitsgesetz ist zur Kraftprobe zwischen der französischen Regierung und der Arbeiter_innenklasse geworden. Doch während die Regierung immer mehr in die Defensive gerät (die Zustimmungswerte zur Reform liegen bei 13%), wird die Arbeiter_innenklasse immer selbstbewusster.
Während der Protest anfänglich von jüngeren Menschen getragen wurde, ist es mittlerweile die organisierte Arbeiter_innenklasse, die rebelliert. Und zwar dort, wo es der Regierung wirklich wehtut – in den Produktionsstätten, wo die Profite der Bosse erwirtschaftet werden.
Streikwelle eskaliert
Am Freitag, den 21. Mai begannen Arbeiter_innen nach einer Betriebsversammlung in den Ölraffinerien zu streiken und die Zufahrtswege zu ihren Fabriken zu blockieren. Die CGT (größte Gewerkschaft Frankreichs) hatte die Streiks erst für Montag geplant, doch die Arbeiter_innen wollten nicht mehr warten.
Die Streiks fielen deutlich militanter aus als von der CGT beabsichtigt; so lehnte die CGT die Sperren der Zufahrtswege ab. Doch als der französische Premier Valls ankündigte, man werde die Sperren mit Gewalt räumen, solidarisierte sich die CGT mit den Blockaden. Das war das Startsignal für die Streikwelle. Am Montag, dem 24. Mai wurden in allen acht großen Ölraffinerien Frankreichs gestreikt. Arbeiter_innen in den Häfen weigerten sich Öltanker zu entladen; der Hafen Pont de Normandie wurde de facto stillgelegt. Mehr als 30% aller Tankstellen mussten schließen. Die Regierung musste die Ölreserven anzapfen, und die Blockaden wurden von der Spezialeinheit der Polizei RAID mittels brutaler Gewalt geräumt.
Gerade die unglaubliche Gewalt der Polizei – mehrere Demonstrant_innen liegen seit Tagen im Koma – radikalisierte die Proteste weiter.
Gerade die unglaubliche Gewalt der Polizei – mehrere Demonstrant_innen liegen seit Tagen im Koma – radikalisierte die Proteste weiter. Während der Räumung der Blockaden verkündete die CGT, dass man auch in den Atomkraftwerken streiken werde. In 19 von 58 Atomkraftwerken kam es zu Streikbeschlüssen. In einigen Städten wie beispielsweise der Hafenstadt Nantes kam es daraufhin zu Stromausfällen. Die französische Regierung musste massenhaft Strom aus dem Ausland importieren, um den Bedarf zu decken.
Am 31. Mai folgten der öffentliche Nahverkehr und die Müllversorgung mit unbefristeten Streiks. Gleichzeitig verkündeten auch die Pilot_innen der Air France und das Flughafenpersonal, dass sie auch in den Streik treten werden. Mehr als ein hundert Flüge in ganz Europa werden in den nächsten Wochen ausfallen.
Bürgerliche Zeitungen weigerten sich einen Text der CGT zu veröffentlichen, daraufhin beschlossen die Drucker_innen kurzerhand, diese Zeitungen nicht mehr zu drucken.
Als sich bürgerliche Zeitungen weigerten einen Text der CGT zu veröffentlichen, beschlossen die Drucker_innen kurzerhand, diese Zeitungen nicht mehr zu drucken. Nur die linksgerichtete Zeitung L’Humanité erscheint regelmäßig. Diese Aktion brachte die französische Regierung und die internationale Presse zum Toben, wie kaum etwas zuvor. Vom „stalinistischen Meinungsterror“, vom „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ ist zu hören. Dieselben Leute, die mit Notstandsgesetz und Polizeiknüppel herrschen, wollen den Arbeiter_innen erklären, was Meinungsfreiheit ist.
Kein Platz für Rassismus
Während der Massendemonstrationen versucht die Polizei immer wieder gezielt Migrant_innen anzugreifen. Doch die Demonstrant_innen nehmen das nicht mehr so einfach hin. In der Stadt Rennes wurde als Reaktion auf Verhaftungen das Rathaus gestürmt und stundenlang verteidigt. Erneut musste die Spezialeinheit RAID anrücken, um die Besetzung aufzulösen.
Als ein schwarzer Jugendlicher grundlos verhaftet wurde, verhinderten hunderte Eisenbahner_innen die Abfahrt des Gefangenentransporters und befreiten den Jugendlichen. In einem Land, in dem mit der Front National eine rechtsextreme Machtübernahme droht, muss Antirassismus zentral für jede politische Bewegung sein.
Kompromisse sind gescheitert
Die Proteste sind eskaliert, weil die parlamentarische Strategie, die Reform aufzuhalten, gescheitert war. Die Gewerkschaftsführung hatte gehofft, dass die linken Sozialdemokrat_innen die Reform verhindern oder zumindest abschwächen würden. Dazu kam es aber nicht. Hollande hebelte die parlamentarische Debatte mittels des diktatorischen Verfassungsartikels 49-3 aus. Hollande selbst hatte diesen Verfassungsartikel noch 2006 als brutal und undemokratisch bezeichnet!
Dem Misstrauensantrag der konservativen Partei wollte der linke Flügel nicht zustimmen; dabei wäre, ganz nüchtern betrachtet, der Sturz der Regierung die einzige Möglichkeit gewesen, das Arbeitsgesetz zu verhindern. Somit blieb den Arbeiter_innen nichts anderes übrig, als den außerparlamentarischen Kampf zu eskalieren.
Angst um die EM
Am 10. Juni beginnt in Frankreich die Fußball EM. Die französische Wirtschaft hoffte auf Millionen-Gewinne. Jetzt droht die EM von den Protesten in den Schatten gestellt zu werden. Die Streiks im öffentlichen Verkehr werden auch während der EM aufrechterhalten, wenn die Regierung nicht nachgibt. Der Vorsitzende der CGT Philippe Martinez stellte süffisant fest: „Wir werden die Menschen nicht davon abhalten zu den Fußballspielen zu gehen.“
Für den 14. Juni wurden von Gewerkschaften, Jugendverbände, die Nuit Debout-Bewegung und linksradikale Organisationen zu einer landesweiten Demonstration in Paris aufgerufen. Es wird eine der größten Demonstrationen in der jüngeren Geschichte Frankreichs werden. Wenn es den Arbeiter_innen gelingt, den Druck noch zu vergrößern, ist es mehr als wahrscheinlich, dass das Arbeitsgesetz am 14. Juni begraben wird. Doch es ist noch viel mehr möglich!