Massenstreiks in Frankreich könnten Regierung in die Knie zwingen

Massenstreiks und landesweite Aktionstage bringen Frankreich nahe des völligen Stillstands und zeigen, wie wenig Spielraum Europas Eliten haben. Die österreichischen Medien verschweigen diese grandiose Rebellion, die Inspiration für Werktätige in ganz Europa ist.
30. Mai 2016 |

Die Stromerzeugung brach letzte Woche in ganz Frankreich ein, nachdem Arbeiter_innen in 19 Kernkraftwerken des Landes in einen Streik zur Verteidigung der Arbeitsrechte getreten waren. Etwa 80 Streikende errichteten eine Barrikade aus brennenden Reifen vor dem Atomkraftwerk Gravelines. Die Sprecherin der Gewerkschaft CGT Marie-Claire Cailletaud meinte: „Alle Kernkraftwerke haben die Streikfreigabe erteilt und zwölf davon haben die Produktion über Nacht eingestellt. Der Rest hat sich heute Morgen noch angeschlossen. Es muss mit Sicherheit Strom importiert werden.“

Die Regierung beeilt sich bereits, die Streiks in allen acht Ölraffinerien und die Blockade in den Treibstoffdepots in den Griff zu bekommen. Auch das Anzapfen von Frankreichs Ölreserven konnte den akuten Benzinmangel nicht beheben. Die Streikfreigabe in Frankreichs größtem Öl-Importhafen Le Havre wird den Mangel verschlimmern.

Alle Räder stehen still…

Streikende und Unterstützer_innen haben die beiden Treibstoffdepots auf der Insel Korsika blockiert. CGT-Funktionär Jean-Michel-Biondi sagte: „Wir schließen uns den landesweiten Protesten gegen das Arbeitsgesetz an, wir werden mit unseren Aktionen weitermachen. In den Depots arbeiten nur wenige Leute und die Chefs machen Druck, die Treibstoffe auszuliefern. Doch das lassen wir nicht zu.“ Die Eskalation der Streiks gegen das neue Arbeitsgesetz in der letzten Woche haben lebhaft verdeutlicht, dass die Arbeiter diejenigen sind, die die Gesellschaft am Laufen halten – und dass sie die Macht besitzen, sie still zu legen.

Donnerstag, 26. Mai, war der achte Tag der landesweiten Mobilisierungen in der zwei Monate langen Revolte. Lediglich eine Zeitung war in den Trafiken erhältlich: Die linksgerichtete L’Humanité. Die Arbeiter in den Druckereien weigerten die anderen Zeitungen zu drucken, nachdem der Abdruck eines Artikels des CGT-Gewerkschaftsführer Phillipe Martinez abgelehnt wurde.

… wenn ein starker Arm es will

Streikende blockierten auch die Normandie-Brücke über die Seine und erzählten der Presse, dass sie die Arroganz von Premierminister Manuel Valls dazu motivierte. Fabien Gloa, CGT-Vertreter in den nahegelegenen Renault-Autowerken, meinte: „Die Polizei rückte en masse aus, also sind wir zur Brücke gegangen, um Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Wenn sie auch zur Brücke gehen, bedeutet das, dass sie auf Konfrontation aus sind.“

Foto: Force Ouvrière / CC BY-NC 2.0
Foto: Force Ouvrière / CC BY-NC 2.0

Jeff Vapillon, Sekretär der Force Ouviere-Gewerkschaft in der Raffinerie Feyzin, sagte: „Ungefähr 200 Leute kommen täglich zum Streikposten – und nicht dieselben 200. Das sind Menschen, die uns unterstützen, aber selbst nicht die Mittel haben, Druck auf die Regierung zu machen.“

Rund um den Flughafen Nantes wurden ebenfalls Blockaden errichtet. Pascal Bousson, Sekretär der CGT-Gewerkschaft in der Airbus-Flugzeugfabrik in Nantes, erklärte: „Gestern hatten wir eine Generalversammlung in der Fabrik, zu der etwa 200 Arbeiter kamen. Sie haben einstimmig für den Beginn von unbefristeten Streiks gestimmt – und für Blockaden am Flughafen. Wir stehen Seite an Seite mit dem Flughafenpersonal, den Beschäftigten in den nahegelegenen Betrieben, und den Hafenarbeitern.“

Strahlkraft der Streiks

Auch Werktätige, die sich nicht im Streik befinden, schlossen sich dem Aktionstag. Fähren von Portsmouth nach Frankreich mussten gecancelt werden, Flüge wurden unterbrochen, da die Hafenarbeiter_innen und Fluglotsen streikten. Bahnarbeiter und Postangestellte hielten einen eintägigen Streik ab, und auch die Busarbeiter und andere haben sich vorgenommen, nächste Woche dabei zu sein.

Der Widerstand gegen das Arbeitsgesetz hat auch andere Lohnabhängige dazu ermutigt, mit ihren Forderungen hervorzutreten. Mitarbeiter der Steuerbehörde befinden sich im Moment im Streik gegen Büroschließungen. Werktätige der Peugeot-Autowerke wehren sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Arbeiter bei Amazon belagerten ihre Warenhäuser, mit der Forderung nach einem bessern Lohn.

Mehrheit unterstützt Streiks

Der Engpass an Energie und Treibstoff zwingt viele Betriebe dazu, die Produktion herunterzuschrauben. Die Auswirkungen des Streiks führten sogar dazu, dass das Tennisturnier „French Open“ niedrige Besucherzahlen zu verzeichnen hatte. Das ist eine Warnung an die Regierung, auch in Hinblick auf die noch viel größere Fußball-Europameisterschaft nächsten Monat.

Die Regierung hat versucht die Gewerkschaften, im Besonderen die CGT als Führende Kraft in diesem Kampf, zu dämonisieren. Diese seien eine „Minderheit“ die versuchen würden, die „Öffentlichkeit zu erpressen“. Premierminister Valls wetterte im Parlament: „Die CGT macht nicht die Gesetze in diesem Land!“ Präsident François Hollande beteuerte Anfang der Woche, dass die Bewegung keine Wiederholung des Generalstreiks vom Mai 1968 sei.

Doch Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit mit den Streiks sympathisiert, die Regierung für den Mangel verantwortlich macht und sich die Rücknahme des Arbeitsgesetzes wünscht. Das Gesetz würde es für die Bosse einfacher machen, die hart erkämpften Arbeitsbedingungen zurückzudrängen, Arbeiter_innen länger arbeiten zu lassen und sie mit niedrigeren Löhnen abzuspeisen.

Wenig Raum für Manöver

Arbeitsministerin Myriam El Khomri, die das neue Gesetz eingebracht hat, musste letzte Woche ein Fernsehinterview abbrechen. Demonstrierende klopften an die Scheiben des Studios und unterbrachen die Aufnahme. Die Regierung befindet sich in einer Zwickmühle, in der wenig Raum für politische Manöver bleibt. Bisherige Zugeständnisse für gewisse Branchen animieren erst recht andere, den Kampf aufzunehmen – was wiederum dazu geführt hat, dass die Bosse nicht mehr geschlossen hinter dem Gesetz stehen.

Die Umfragewerte für Hollande und Valls sind auf ein Rekordtief gesunken, und die nächsten Wahlen stehen bereits nächstes Jahr an. Sie wollen die von den Bossen verlangten Angriffe auf die Arbeiterschaft durchführen, und sich im gleichen Atemzug die Unterstützung der Werktätigen sichern. Bislang gelingt ihnen beides nicht.

Eskalation

Valls hat zu den Gewerkschaften gesagt, seine Tür sei für sie „immer offen“. Doch er hat bereits Vorschläge von Leuten aus der zweiten Reihe abgelehnt, der Rebellion mit einem Referendum den Kopf abzuschlagen. Er wehrte sich sogar noch unerbittlicher gegen die Entschärfung jener Maßnahmen, die unter den Gewerkschaften besonders verhasst sind – der Möglichkeit für Betriebe, die Landes- und Branchenstandards durch lokale Arbeitsverträge zu unterwandern. Er bestand darauf: „Das ist das philosophische Herz des Gesetzesentwurfs.“

Frankreich erlebt Frühling im Kampf gegen die Regierung

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Die Regierung versucht die Gewerkschaften zurück auf den Verhandlungstisch zu bringen, doch der Streik breitet sich aus. Weitere Aktionen könnten sicherstellen, dass die Gewerkschaftsführer nicht klein beigeben.

 

Artikel ist zuerst auf Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Alexander Akladious.

Manifestation à Paris le 26 mai 2016

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.