Polen: Der Kampf für das Recht auf Abtreibung explodiert auf den Straßen
Am 3. Oktober strömten in ganz Polen Menschen auf die Straße, die sich einen Tag frei nehmen konnten. Auch tausende Schüler_innen beteiligen sich an den Protesten.Der Großteil der Protestierenden sind junge Frauen, in schwarz gekleidet – die Farbe der Protestbewegung. Sie riefen „Wir werden die Fanatiker stoppen“, „Schande! Parlamentarier machen eine Hölle für Frauen“ und „Wir wollen Ärzte, keine Missionare“. Sie skandierten sogar: „Die Revolution ist eine Frau“.
Die Menschen brachten hunderte Plakate und Banner mit, auf denen stand: „Mein Körper, meine Entscheidung“, „Fuck off Fanatiker“, „Mädchen werden die Regierung stürzen“.
Unterstützung
Die Gewerkschaften waren bisher vorsichtig, aber der OPZZ Gewerkschaftsbund unterstützte den gestrigen Protest. Gefolgt von der ZNP Lehrer_innen-Gewerkschaft, Polens größter Einzelgewerkschaft, die sich ebenfalls solidarisierte.
Die Gewerkschaften streiken zwar nicht offiziell, aber sie mobilisierten ihre Mitglieder auf die Proteste. Diese formelle Unterstützung ist wichtig für die „pro-choice“-Bewegung – und muss weiter ausgebaut werden.
Auch die neue linke Partei Razem (Gemeinsam) spielt eine wichtige Rolle in der Bewegung. Im September starteten sie den „schwarzen Protest“ mit Demonstrationen und Streikposten in vielen Städten Polens. Gegründet wurde die Partei erst ein paar Monate vor den Wahlen letzten Oktober, dennoch schaffte Razem damals 3,6 Prozent oder 550.000 Stimmen zu gewinnen.
Razem ist hauptsächlich eine Partei von jungen Menschen und konzentriert sich auf Aktivitäten auf der Straße, anstatt nur passiv auf die nächsten Wahlen zu warten. Arbeiterdemokratie, die Schwesterorganisation von Neue Linkswende, arbeitet in mehreren Kampagnen mit Razem zusammen. Die Proteste dieser Woche sind die Fortsetzung von monatelangen Demonstrationen in ganz Polen.
Bewegung
Die aktuelle Bewegung ist weiter größer als alles, was wir in den letzten 20 Jahren rund um das Thema Abtreibungsrechte gesehen haben. Warum jetzt? Die Antwort ist leicht. Es gab riesige Empörung, als vor sechs Monaten der Gesetzesentwurf, der jegliche Abtreibung verbieten sollte, bekannt wurde.
Polen, wie auch Malta und Irland, haben bereits das restriktivste Abtreibungsrecht in ganz Europa. Das neue Gesetz würde Abtreibungen komplett illegalisieren, selbst wenn der Fötus Schaden genommen hat, wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorging oder wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Frauen und ihre Ärzte würden hohe Gefängnisstrafen erwarten. Kein Wunder also, dass sowohl am Samstag, als auch gestern, die Menschen so entschlossen und wütend auf die Straßen gingen.
Auch wenn der Gesetzesentwurf angeblich ein „Bürgerbegehren“ ist und nicht von der Regierung eingebracht wurde, zögerte die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nicht, ihn sofort zu unterstützen. Sie ist die erste Partei seit 1989, die mit absoluter Mehrheit regiert.
Die katholisch-konservative PiS ist eine durch und durch rechte Partei. Ihre Politiker sehen die polnischen Faschisten als aufrichtige Patrioten, schauen beim aktuellen Anstieg rassistischer Übergriffe einfach weg und geben so den Faschisten Auftrieb. Im September blockierte die PiS einen alternativen Gesetzesentwurf, der Abtreibungen bis zur 12. Woche legalisiert hätte. Dies machte Aktivist_innen noch wütender, weil die regierende PiS versprochen hatte, alle Bürgerbegehren zu debattieren.
Eine Umfrage vor den Demonstrationen am Samstag zeigte, dass sich 15% in der Kampagne um das Recht auf Abtreibung engagieren wollen und, dass weitere 3% sie unterstützen, während nur 14% sie ablehnen.Während ich schreibe, eskaliert die „pro-choice“-Bewegung – und ändert die Einstellung in den Köpfen der breiten Bevölkerung.
Andrzej Zebrowski ist revolutionärer Sozialist in der Organisation Pracownicza Demokracja (Arbeiterdemokratie) in Polen. Übersetzung von Judith Litschauer.
Dieser Artikel ist zuerst in der englischen Zeitung Socialist Worker erschienen.