Protest gegen AMS-Kürzungen: „Der Arbeitsdruck ist unbeschreiblich“

Über 1.500 Kolleg_innen aus der Erwachsenenbildung protestierten am Dienstag gegen Stellenabbau und die Kürzung von Geldern für AMS-Schulungen. Betriebsrat Nerijus Soukup erzählt im Gespräch mit der "Neuen Linkswende" von der Stimmung in der Belegschaft.
3. Juni 2015 |

Im letzten Jahr haben bereits 500 Erwachsenenbildner_innen ihren Job verloren, bis Jahresende könnten es weitere 1.500 sein.

Unter dem Motto „Schutzschirm statt Kahlschlag“ forderten die Betriebsrät_innen der privaten Bildungseinrichtungen und der sozioökonomischen Betriebe gemeinsam mit der Gewerkschaft GPA-djp mehr Geld für den Bildungsbereich und zur Bekämpfung der Rekordarbeitslosigkeit. Seit Herbst 2014 hat sich die Zuteilung von Budgetmittel an das AMS verändert. Das hat zu einer Kürzung von externen Beratungs- und Qualitätsmaßnahmen geführt – und in der Folge zu Einsparungen von Trainer_innen.

Mehr als 1.500 Kolleg_innen aus allen Bundesländern hielten eine öffentliche Betriebsversammlung auf dem Wiener Ballhausplatz ab, während sich die Regierung im Bundeskanzleramt gegenüber zum Ministerrat traf. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der behauptet, er habe „bewiesen, heiße Eisen anzufassen“, wurde lautstark ausgebuht: „Der redet nicht einmal mit uns!“

Unsicherheit

Nerijus Soukup, Betriebsratsvorsitzender beim privaten Bildungsdienstleister Mentor und Sprecher am Protest, sagt im Gespräch mit der „Neuen Linkswende“: „Die Leute fragen sich: Wer ist der Nächste? Es hängt ständig das Damoklesschwert über der Firma. Das ist ein Arbeitsdruck, der ist unbeschreiblich.“

Die Projekte sind oft auf ein halbes Jahr oder ein Jahr befristet. Wenn sie auslaufen, dann bieten die Arbeitgeber einzelnen Kursleiter_innen eine „einvernehmliche Lösung“ an – nur wenn man Glück hat, und es gibt wieder ein Projekt, kann man den Job behalten. Nerijus kritisiert diese Praxis: „Eine einvernehmliche Lösung wird im Grunde genommen als Kündigung benutzt, nur dass dabei praktisch alle Arbeitsrechte umgangen werden und sich die Arbeitgeber viel Geld sparen können.“

Kürzungen

Österreichische Kindergärten verdienen Besseres

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Ähnlich wie in den Schulen und Krankenhäusern ist der Arbeitsdruck in den letzten Jahren auch in der Erwachsenenbildung massiv gestiegen. „Als ich 2006  in der Branche angefangen habe, wurden 15 bis 20 Prozent für die Vor- und Nachbereitungszeit eingerechnet“, erzählt Nerijus. „Aufgrund der ganzen Sparmaßnahmen sind diese Zeiten gekürzt worden. Das machen die Kolleginnen und Kollegen jetzt aus Angst, den Job zu verlieren, gratis zu Hause.“

Für arbeitspolitische Maßnahmen hat die Regierung heuer 1,15  Milliarden Euro im Budget eingeplant. Das Arbeitsmarktservice (AMS) kann davon 590 Millionen für Aus- und Weiterbildungskurse verwenden – das ist eine Einsparung von rund 100 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Und die Regierung will weiter sparen: 2017 wird das Arbeitsmarktbudget gleich um ein Viertel auf 880 Millionen gekürzt.

Projekte einfach abgedreht

Die Situation ist besonders perfide, bedenkt man, dass die Erwachsenenbildner_innen Menschen – vor allem arbeitslosen Jugendlichen – helfen sollten, einen Weg zurück ins Leben und zu einem Job zu finden. „Jugendliche haben oft keine Perspektive. Wir versuchen, sie aus einer Frustration herauszuholen und ihre Motivation und ihr Selbstwertgefühl zu steigern“, sagt Nerijus.

In den Kursen versuchen er und seine Kolleg_innen die Leute dabei zu unterstützen, ihre Fähigkeiten wiederzuentdecken und sie darin zu fördern. In einem besonderen Projekt werden Jugendliche zwei Jahre lang betreut. Sie lernen mit Respekt und Pünktlichkeit umzugehen und erhalten Hilfe in Mathematik, Deutsch und vielem mehr. „Dieses Projekt wird jetzt, weil es ‚zu teuer‘ ist, eingestampft. Die Befürchtung ist, dass die Jugendlichen in der Zukunft auf der Straße landen.“

Beeindruckende Solidarität

Die Proteste gehen weiter, betonten die Sprecher_innen auf der Kundgebung, darunter Nerijus Soukup, Christian Puszar (Betriebsratsvorsitzender BFI Wien) und Karl Proyer und Barbara Teiber von der Gewerkschaft GPA-djp. Man dürfe sich nicht auseinanderdividieren lassen. Bereits vor dem Protest hatten die Betriebsrät_innen 11.000 Unterschriften für eine parlamentarische Bürgerinitiative gesammelt und an Nationalratspräsidentin Doris Bures überreicht. Damit haben viel mehr Menschen unterschrieben als jene 7.000 Menschen, die bei privaten Schulungsfirmen arbeiten.

Für die Kolleg_innen ist klar, dass es so nicht weitergehen kann und es wieder mehr Geld für die Bildung und den Arbeitsmarkt braucht. „Kurse und Projekte müssten langfristig überlegt werden“, meint Nerijus. „Einerseits für die Menschen, die Arbeit suchen, und andererseits für jene, die in diesem System arbeiten, damit sie nicht ständig die Angst haben müssen, in einem halben Jahr oder Jahr ihr Projekt und damit den Job zu verlieren.“

Die Arbeitslosigkeit in Österreich ist im Mai im Vergleich zum Vorjahr um 6,9 Prozent auf 395.518 Menschen gestiegen.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.