Sechstagekrieg 1967: Der Mythos von der permanenten Bedrohung Israels

Immer wenn Israel ein anderes Land angegriffen und Territorium besetzt hat, wird das mit der permanenten Bedrohung Israels durch seine Nachbarstaaten gerechtfertigt. Der Sechstagekrieg vom 5. - 10. Juni 1967 ist Teil dieses Mythos vom kleinen bedrohten Staat, der sich gegen eine Übermacht durchsetzen muss. Diese Darstellung ist verkehrt.
5. Juli 2017 |

Der Sechstagekrieg wird immer wieder so dargestellt, als wäre Israel am 5. Juni angegriffen worden, oder, dass ein arabischer Angriff auf Israel unmittelbar bevor stand. Der deutsche Politikwissenschaftler und ausgewiesene Israel-Freund Stephan Grigat argumentiert in seinem Buch Die Einsamkeit Israels, der Angriff Israels wäre ein Präventivschlag gewesen, der von arabischer Seite provoziert wurde. In Wahrheit bot der Sechstagekrieg Israel eine einmalige Gelegenheit sein Territorium zu erweitern und seine Nachbarn zu demoralisieren.

Imperialismus am Rückzug

In den 1950er- und 1960er-Jahren kam es zu einer Serie von anti-kolonialen Bewegungen, die die Herrschaft des westlichen Imperialismus in Turbulenzen stürzte. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Krieg um den Suez-Kanal von Israel, Frankreich und England gegen Ägypten unter seinem Präsidenten Gamal Abdel Nasser: 1956 verstaatlichte er den Suezkanal und verweigerte den Briten den Zutritt. Der darauf folgende Krieg endete mit dem Rückzug von Israel, England und Frankreich. Die USA, welche kurzzeitig Nasser unterstützte, wurde die neue Supermacht. Nasser feierte den Rückzug als Triumph und ging gestärkt aus der Krise hervor.

Im Zuge der Gründung Israels wurden 1948 hunderttausende Palästinenser_innen von ihrem Land vertrieben. 1967 lebten sie schon fast zwei Jahrzehnte in riesigen Flüchtlingscamps in Syrien, Jordanien und im Gazastreifen. In diesen Lagern entstand die „Bewegung zur Nationalen Befreiung Palästinas“, besser bekannt als Fatah. Die Fatah versuchte mittels militärischer Kampagnen Israel zu besiegen.

Im Dezember 1987 begann die erste Intifada. Tausende Palästinenser_innen organisierten in den besetzten Gebieten Aufstände gegen das israelische Militär. Die Massenaufstände und Streiks stellten Israel vor deutlich größere Probleme als die arabischen Militärs 1967. © Wikimedia Commons

In Syrien putschte sich 1966 die Baath-Partei an die Macht; sie verstaatlichte einige Öl-Konzerne, suchte ein Bündnis mit der Sowjetunion und China und erklärte sich mit der palästinensischen Befreiungsbewegung solidarisch. Zusammenfassend: der westliche Imperialismus war Ende der 1960er-Jahre geschwächt – die USA brauchte einen Verbündeten, der für „Ordnung“ sorgen konnte.

Der israelische Historiker Tom Segev argumentiert in seinem Buch 1967 – Israels zweite Geburt, dass die israelische Armee (IDF) 1967 versuchte, den schwelenden Konflikt mit Syrien zu eskalieren.

Israels Eskalation

Die Tötung eines Israelis in Dishon nahe der Grenze zum Libanon bot dafür die ideale Gelegenheit. Israel verkündete den Plan, die gesamte demilitarisierte Grenze zwischen Israel und Syrien zu bewirtschaften. Als am 7. April 1967 ein israelischer Traktor in der entmilitarisierten Zone auftauchte, antwortete Syrien mit einem Mörserangriff. Daraufhin wurden syrische Stellungen von Flugzeugen aus bombardiert.

In dieser angespannten Situation hörte eine ägyptische Abhörstation ein Radiointerview mit dem israelischen General Yitzhak Rabin: „Es wird der Moment kommen, wenn wir nach Damaskus marschieren werden, um das syrische Regime zu stürzen.“ Am nächsten Tag ­sendete Nasser zwei Bataillone in den Sinai, schloss ein Militärbündnis mit Syrien und schloss am 23. Mai den Golf von Akaba für israelische Schiffe. Ägypten und Syrien rüsteten zwar gegen Israel auf, doch gibt es keinerlei Beweise dafür, dass sie Israel wirklich angreifen wollten. Die Tatsache, dass ihre Armeen haushoch unterlegen waren, spricht eher dagegen.

Machtstellung ausgebaut

Am 2. Juni kam es zu einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts. Als der israelische Premierminister Levi Eschko zögerte loszuschlagen, machten mehrere israelische Offiziere Druck und drohten mit ihrem Rücktritt. Israel griff am 5. Juni Ägypten mit seinen Jets an. Binnen weniger Stunden war die komplette ägyptische Luftwaffe vernichtet. Israel besiegte das ägyptische Militär nahezu problemlos und marschierte schon am nächsten Tag in Gaza ein, wo tausende palästinensische Flüchtlinge lebten. Am 7. Juni besiegte die israelische Armee Jordanien, sie eroberte Betlehem und Ost-Jerusalem inklusive der Al-Aqsa-Moschee und der Klagemauer. Die herrschende Klasse Israels befand sich im Siegestaumel. Binnen Tagen hatte man die arabischen Streitkräfte vernichtend geschlagen und das Territorium mehr als verdoppelt.

Die Konzentration der ägyptischen Armee im Sinai beweist nicht, dass Nasser uns wirklich angreifen wollte. Wir müssen ehrlich zu uns sein. Wir griffen sie an.

(Menachem Begin)

Selbst der israelische Premierminister Menachem Begin erklärte am 8. August 1982 vor dem National Defense College unmissverständlich, der Krieg wurde ohne realer Bedrohung begonnen: „Im Juni 1967 hatten wir wieder eine Alternative. Die Konzentration der ägyptischen Armee im Sinai beweist nicht, dass Nasser uns wirklich angreifen wollte. Wir müssen ehrlich zu uns sein. Wir griffen sie an … Die Regierung der nationalen Einheit hat einstimmig beschlossen: Wir werden die Initiative ergreifen und den Feind angreifen, zurückdrängen und damit die Sicherheit von Israel und die Zukunft der Nation gewährleisten. Wir taten dies nicht, weil wir keine Alternative gehabt hätten. (!) Wir hätten weiter abwarten können, wir hätten die Armee nach Hause schicken können. Wer weiß, ob ein Angriff gegen uns erfolgt wäre? Es gibt keinen Beweis dafür. Es gibt mehrere Argumente für das Gegenteil.“

Der Sechstagekrieg baute Israels Machtstellung im Nahen Osten weiter aus. Gegenüber den USA hatte es sich als guter Verbündeter präsentiert, welcher im Nahen Osten für Ruhe sorgen kann. Die Besetzung Ost-Jerusalems, von Gaza und des Westjordanlands hält bis heute an.

Zeitleiste Nahostkonflikt

  • Mai 1948: Israel erweitert sein Territorium bis zur „Grünen Linie“
  • Oktober 1956: Als Reaktion auf die Verstaatlichung des Suezkanals greifen England, Frankreich und Israel Ägypten an
  • Juni 1967: Der Krieg endet mit der Besatzung Ost-Jerusalems, des Westjordanlands, Sinais und der Golanhöhen
  • Oktober 1973: Jom-Kippur-Krieg, Ägypten und Syrien scheitern bei der Rückeroberung der 1967 verlorenen Gebiete
  • März 1979: Israelischer-Ägyptischer Friedensvertrag: die Besatzung Gazas und des Westjordanlands wird de facto einzementiert
  • Juni 1982: Israel marschiert im Libanon ein, um die PLO und andere palästinensische Organisationen zu zerstören, was jedoch scheitert
  • Dezember 1987: Erste Intifada: Tausende Palästinenser_innen wehren sich mit Steinen und Streiks gegen die Besatzung
  • Oktober 2000: Zweite Intifada: Erneut kommt es zu Massen­aufständen gegen die Besatzung, Selbstmordattentate werden verübt
  • 2006: Israels Invasion des Libanon scheitert an der Hisbollah
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.