Faschismus in Kriegszeiten
- Teil 1: Faschismus in Kriegszeiten
- Teil 2: Moderner Faschismus
Um modernen Faschismus und die Bedrohung, die von ihm ausgeht, verstehen zu können, muss man die Unterschiede zwischen dem Faschismus in Kriegszeiten und den modernen faschistischen Bewegungen verstehen. In der nächsten Ausgabe von Linkswende jetzt werden wir auf die Besonderheiten der modernen faschistischen Bewegungen eingehen, vor allem auf die sogenannten „Eurofaschisten“, zu welchen wir neben dem „Front National“ auch die FPÖ zählen. Zuerst sollte uns interessieren, was faschistische Bewegungen so unfassbar grausam gemacht hat, anders gesagt: wie konnte es zu Auschwitz kommen?
Viele totalitäre Diktaturen oder Bewegungen werden heute als faschistisch bezeichnet, aber Faschismus ist eine ganz spezielle politische Erscheinung, sowohl als Bewegung als auch als Regierungsform! Wir wollen uns auf die brutalste der faschistischen Diktaturen konzentrieren, den Nationalsozialismus. Zum einen, weil die FPÖ von Naziverbrechern gegründet wurde und weil die FPÖ zahlreiche Bezüge zum Nationalsozialismus aktiv pflegt. Das zeigen die führende Rolle deutschnationaler Burschenschaften oder das Tragen der blauen Kornblume, einem sehr belasteten Symbol des deutschnationalen Antisemitismus. Zum anderen, weil Faschismus in seiner schrecklichsten Verwirklichung uns am besten vor Augen führen kann, was uns droht, sollte er, mit den technologischen Mitteln des modernen Kapitalismus ausgerüstet, noch einmal an die Macht kommen (Diese Formulierung soll klar machen, dass wir nicht denken, dass mit der FPÖ-Regierungsbeteiligung Faschismus an die Macht gekommen ist).
Auschwitz bzw. der Holocaust (oder die Schoah) werden zu Recht als der extremste Fall menschlicher Grausamkeit angesehen, so grausam, dass mit „Berechtigung bezweifelt werden darf, dass irgendeine Gesellschaftstheorie Licht in die Finsternis von Auschwitz bringen kann.“ (Alex Callinicos: Ausloten der Abgründe – Marxismus und der Holocaust).
Wir wollen hier aber nicht einen Versuch unternehmen, auf wenigen Seiten eine wissenschaftliche Erklärung des Holocausts zu liefern, dafür aber die Besonderheiten des Nationalsozialismus hervorheben, die sie dazu brachten, solch ein einmalig brutales Verbrechen zu begehen.
Nicht jede Diktatur faschistisch
Zuerst kann nicht genug betont werden, dass Faschismus ein Phänomen ist, das in seiner Bestialität einzigartig ist. Er muss als Regierungsform von anderen Diktaturen unterschieden werden, und als Bewegung von anderen reaktionären und rassistischen Bewegungen. „Gewöhnliche“ Militärdiktaturen haben natürlich viele Gemeinsamkeiten mit Faschismus: das Feindbild Demokratie, die Unterdrückung von Arbeiter_innen, progressiven Kulturschaffenden, Minderheiten und ärmeren Schichten, oder die Verehrung von Militarismus, und so weiter.
Aber Militärdiktaturen stützen sich hauptsächlich auf einen Flügel des Staates, das Militär – neben Justiz, Polizeiapparat und die alten Eliten! Faschismus dagegen rüttelt die alten Verhältnisse durch, schafft neue Eliten und stützt sich auf die alten Eliten nur unter der Bedingung, dass sie sich ihm unterordnen, was sie in Deutschland zu einem großen Teil bereitwillig getan haben. Faschismus stützt sich außerdem auf einen zusätzlichen Unterdrückungsapparat, die von ihm selbst geschaffenen paramilitärischen Organisationen. In Nazideutschland waren das die SA und, nachdem diese an die kurze Leine genommen wurde, die SS. Hitler tastete die deutsche Wehrmacht anfangs kaum an, sondern nutzte Krisen, um sie immer stärker unter die Kontrolle der NSDAP und der SS zu bringen.
Es ist auch falsch, den Nationalsozialismus als bloßen Handlanger des deutschen Großkapitals zu verstehen, wie es die stalinistische Theorie über den staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) tut. Die Beziehungen zwischen Kapitalisten und Nazis waren spannungsgeladen. Die deutschen Kapitalisten hofften, die Nazis würden für sie den Widerstand der Arbeiterbewegung gegen die als nötig empfundenen Sozialabbaumaßnahmen brechen, und die Straßen unter ihre Kontrolle bringen. Gleichzeitig dachten sie, sie könnten die Nazis als Juniorpartner der Konservativen ins System integrieren und sie so zähmen. Hitler nutzte die Terrorherrschaft, die von ihm erwartet wurde, um die ausschließliche Kontrolle über den Staat seinen konservativen Gönnern zu entreißen. Im Faschismus sind also im Gegensatz zu Militärdiktaturen, wie wir sie aus der Türkei, Argentinien oder Chile kennen, die alten Eliten nicht „Herr des Geschehens“, sondern bestenfalls Mitstreiter, Nutznießer oder Kollaborateure.
Kapitalismus und Faschismus
„Entsprechend der weitaus größeren Reife und Schärfe der sozialen Gegensätze in Deutschland würde sich die Höllenarbeit des italienischen Faschismus wahrscheinlich als eine unbedeutende, beinahe humane Erfahrung ausnehmen im Vergleich zur Arbeit des deutschen Nationalsozialismus.“ Leo Trotzki machte diese Prophezeiung im November 1931, 15 Monate vor der Machtergreifung der Nazis, und er stand damit ziemlich alleine auf weiter Flur. Trotzki entwickelte diese Theorie aus seinem Verständnis für die Tiefe der Krise in welcher der Kapitalismus sich Anfang der 1930er-Jahre befunden hatte. Aus der Krise wussten die Herrschenden sich keinen anderen Ausweg, als Krieg und die brutale Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Um die deutsche Arbeiterschaft zu schlagen, brauchte es ganz andere Brutalität als in Italien. Insofern muss man natürlich Kapitalismus in die Gleichung miteinbeziehen. Seine Krisenanfälligkeit hat erst die Voraussetzungen für Faschismus geschaffen.
Faschismus und Imperialismus
Das 19. und 20. Jahrhundert sind so geprägt von Massenmorden unfassbaren Ausmaßes, dass manche Historiker den Holocaust einfach als das extremste Beispiel einer Serie von grausamen Verbrechen darstellen. Ein wenig beachtetes Verbrechen des britischen Imperialismus sind die Toten der Hungersnöte in Indien in den Jahren 1876–1879 und 1896–1902, in welchen die britische Kolonialverwaltung für den Großteil der zwischen 12 und 30 Millionen Toten verantwortlich gemacht werden muss. Sie hat verhindert, dass den Armen und Kleinbauern die verfügbare Unterstützung zukommt und mit diesem „Laissez faire“-Liberalismus die Dürreperioden in Hungerkatastrophen entsetzlichen Ausmaßes verwandelt.
Ähnliches geschieht auch heute noch: Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, nicht weil es zu wenig Nahrungsmittel gäbe, sondern weil politische Entscheidungen verhindern, dass diese Kinder an Nahrungsmittel kommen. Gemeint sind die Schuldenprogramme der Weltbank und des Weltwährungsfonds oder die von Großmächten unterstützten Kriege gegen Menschen in Regionen wie dem Sudan. Diesen und vergleichbaren imperialen Verbrechen fehlt es dennoch an der ideologisch motivierten Absicht, Millionen Menschen bzw. ein ganzes Volk zu vernichten, wie sie Himmler, Heydrich oder Kaltenbrunner auszeichnete. Faschismus hat zwar seinen Platz in der imperialistischen Weltordnung, aber es ist ein ganz spezieller Platz.
Faschismus als Massenbewegung
Wie schon angedeutet, ist eine Besonderheit des Faschismus, dass er sich auf eine eigene Massenbewegung stützt, und nicht nur auf bestehende Instrumente des kapitalistischen Staates, wie Polizei und Militär. Trotzki charakterisierte Faschismus als kleinbürgerliche Massenbewegung der konterrevolutionären Verzweiflung. Da Trotzki beinahe der einzige Politiker seiner Zeit war, der sah, was auf die Menschheit zukommt, hat seine Analyse mehr Beachtung verdient als heute üblich!
Dass die Nazis sich tatsächlich vorwiegend aus kleinbürgerlichem Milieu rekrutierten, haben moderne Historiker bestätigt. Diese kleinbürgerliche Bewegung war in ihrer Verzweiflung so dynamisch, dass sie auch Teile des Proletariats mit sich reißen konnte. Sie wurden durch eine pseudorevolutionäre und rassistische Ideologie zu einem Rammbock gegen die Organisationen der Arbeiterbewegung zusammengeschweißt. Pseudorevolutionär deshalb, weil für die Nazis das „jüdische Finanzkapital“ verantwortlich für alle Übel der deutschen Gesellschaft war.
Der krisenhaften Weimarer Republik wurde die Utopie einer rassisch reinen deutschen Volksgemeinschaft gegenübergestellt, in der der kleine Produzent wieder fest im Sattel sitzen würde. Verzweifelt deshalb, weil das Kleinbürgertum, anders als das Proletariat, über keine Gewerkschaften verfügte, die es gegen Konkurs, Arbeitslosigkeit und Abgleiten in die Armut verteidigen konnten. Das Kleinbürgertum fühlte sich machtlos der Krise ausgeliefert und gab den Gewerkschaften, den Kommunisten, den Sozialisten, der Moderne und/oder dem „jüdischen Finanzkapital“ die Schuld an seiner Misere.
Dummheit der Eliten
Besagte kleinbürgerliche Bewegung sammelte sich hinter einer selbst ernannten Elite, die ihre Wurzeln im deutschnationalen Lager hatte. Ein Standbein ihrer Ideologie ist die Verherrlichung einer vermeintlichen „arischen Rasse“ und der feste Glaube an deren Überlegenheit anderen „Rassen“ gegenüber. Das andere Standbein ist ein fanatischer Antisemitismus in Form eines biologischen Rassismus, oder wie Hitler es ausdrückte, ein „Vernunftantisemitismus“. Den sah er im Gegensatz zu einem religiösen „Scheinantisemitismus“, der es den Juden gestatte, mit einem „Guß Taufwasser immer noch Geschäft und Judentum zugleich“ zu retten. Der Antisemitismus müsse vielmehr auf rassischer Grundlage aufgebaut sein.
Die Juden, so glaubten die Nazis, wollten die Weltherrschaft mittels einer Verschwörung an sich reißen. Die Juden standen für sie gleichzeitig hinter dem Kommunismus und dem (Finanz-) Kapital. Das Judentum war verantwortlich für die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg, indem sie den Deutschen planmäßig die politischen und moralischen Instinkte geraubt hätten, die zur Daseinsberechtigung notwendig seien. Im Jänner 1939 machte Hitler in seiner berühmten Prophezeiung das Judentum auch für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich, den er bald starten würde: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“
Demgegenüber stellten sie die Utopie einer deutschen Volksgemeinschaft, in welcher Klassenkonflikte aufhören würden zu existieren. Unternehmer und Arbeiter_innen würden gemeinsame Sache machen, in Treue zum deutschen Volk an einem Strang ziehen. Die Kleinunternehmer würden wie im Mittelalter wieder die Grundlage der Produktion stellen. Himmler war besessen von einer Bauernromantik. Demnach sei der Deutsche kein Großstadtmensch und nur als Bauer frei. Die Bauern wären das Rückgrat der Gesellschaft. Für sie galt es, Siedlungsraum im Osten zu erobern und die Slawen zu vertreiben oder zu vernichten.
Die Rolle von Rassismus
Dieser Ideologie-Mischmasch wurde und wird noch heute in den deutschnationalen Burschenschaften gepflegt. Die Burschenschafter verstanden sich als Elite unter den Eliten, dazu auserkoren alles Nötige zu tun, sei es auch noch so schrecklich, um dem Deutschtum seinen angestammten Platz in der Weltgeschichte zu erkämpfen. Deshalb spielten die Burschenschafter eine so überproportionale Rolle im Terrorapparat der NSDAP. Weil die österreichischen Deutschnationalen viel fanatischer waren, die deutscheren Deutschen sozusagen, finden wir besonders viele Österreicher unter den Nazikriegsverbrechern, als Lagerkommandanten und an anderen Schlüsselstellen der Nazimaschine.
Viele Faktoren führten zum Zweiten Weltkrieg und dem Horror der Vernichtungslager: Die Verlagerung von sozialen Gegensätzen auf Rassenunterschiede war entscheidend für die Radikalität des Nazi-Antisemitismus. Ebenso die Tatsache, dass wir es mit einer reaktionären gewaltbereiten Massenbewegung zu tun haben, die sich auf rassistische und pseudowissenschaftliche Lehren stützt und die vom Kapital an die Macht gehievt wurde, um die Arbeiter_innenbewegung zu zerschlagen. Die Krise des Kapitalismus war entscheidend dafür, dass aus den Nazis eine Massenbewegung werden konnte und dass sie, einmal an der Macht, rücksichtslos auf einen brutalen Eroberungskrieg zusteuerten.
Wenn die antifaschistische Parole „NIE WIEDER“ keine leeren Worte sein sollen, dann dürfen wir auch heute die Bedeutung der Ideologie unserer Gegner nicht unterschätzen und müssen Rassismus und Faschismus von Anfang an bekämpfen.
Details und Belege siehe im Buch Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften von Hans-Henning Scharsach.