Flüchtlingsbewegung könnte Regierung noch immer unter Druck setzen
Die Rebellion gegen die „Festung Europa“ im letzten Jahr war die größte Machtdemonstration gegenüber der Regierung in den letzten Jahren. Am 3. Oktober 2015 gingen 150.000 Menschen in Wien für eine menschliche Asylpolitik auf die Straße. Zum Zeitpunkt der Proteste musste die Regierung bereits vor dem Druck der Flüchtlinge und der hunderttausenden freiwilligen Helfer_innen zurückweichen und die Grenzen öffnen. Die Solidaritätsoffensive entschied die Wien-Wahl und die FPÖ hatte für einen Moment lang überhaupt nichts mehr zu melden.
Nur mit Mühe konnte die Regierung die unglaubliche Solidaritätsbewegung in einer rassistischen Gegenoffensive zurückzudrängen. Der Versuch im Frühjahr, die Förderungen von Flüchtlingshilfsorganisationen zu kürzen, scheiterte noch dank des entschlossenen Widerstands. Die Schwierigkeiten der Regierung lassen sich alleine schon am Streit über die Bezeichnung der Widerlichkeiten ablesen: Was bei der SPÖ Tor mit Seitenteilen, Richtwerte und Sonderverordnung hieß, nannte die ÖVP Grenzzaun, Obergrenze und Notverordnung.
Pressekonferenz zum Jahrestag
Anlässlich des Jahrestages der Demonstration und den jüngsten Angriffen der Regierung organisierte die Plattform für eine menschliche Asylpolitik eine Pressekonferenz in Wien. Plattformsprecher Michael Genner (Asyl in Not) stellte klar: „Letzen Sommer haben viele tausende Menschen gesehen, dass es ohne staatliche Einmischung viel besser geht.“ Genner schilderte einen besonders schockierenden aktuellen Fall von Behördenwillkür in Graz, in dem eine Frau um fünf Uhr früh in Handschellen mit ihrem Kind festgenommen und nach Kroatien abgeschoben wurde.
Die Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik vom Österreichischen Frauenring (ÖFR) sagte: „Juristisch gesehen ist die Notstandsverordnung völkerrechtswidrig, verfassungswidrig und menschenrechtswidrig. Jedes Asylverfahren muss einzeln geprüft werden. Schnellverfahren sind mehr als problematisch.“ Die Teilnehmenden an der Pressekonferenz betonten, dass die Hilfsbereitschaft ein Jahr danach noch immer ungebrochen sei. Maria Mayrhofer von der Initiative #aufstehn forderte: „Es ist höchste Zeit, dass die Politik auf uns hört!“
Herrschenden zerstritten
Die beiden Regierungsparteien sind sich genauso wie die einzelnen EU-Mitgliedsländer nach wie vor völlig uneinig, wie sie die „Flüchtlingskrise“ lösen sollen. Seit Monaten wird über die Verteilung von Asylwerber_innen, den EU-Türkei-Deal und über Obergrenzen gestritten. Der Architekt der Vereinbarung mit der Türkei, Gerald Knaus, meinte vor kurzem im ORF, dass bisher alle EU-Pläne gescheitert seien und man schon froh sein müsse, wenn so ein Abkommen über sechs Monate hält.
Genau diese Zerstrittenheit und Uneinigkeit der Machthaber ist unsere Chance. Wir haben vor einem Jahr gesehen, dass wir die Regierenden politisch gewaltig unter Druck setzen können. Und es ist noch immer möglich: Widerstandsnester wie Kumberg in der Steiermark, dessen Einwohner_innen erfolgreich die Abschiebung einer irakischen Flüchtlingsfamilie verhindert hat, oder die Gemeinde Altenfelden in Oberösterreich, die sich entschlossen gegen rechte Gewalt nach dem Anschlag auf eine Asylunterkunft stellte, zeigen den Weg nach vorn!
Großdemonstration #LetThemStay #LasstSieBleiben: 26. November, 14 Uhr Westbahnhof. Mehr Infos: menschliche-asylpolitik.at |Facebook