Frankreich: „Le Pen nahm die Wahlniederlage bewusst in Kauf“
Neue Linkswende: Medien feierten den Wahlsieg Macrons über Le Pen. Sogar Le Pen gestand ihre Wahlniederlage ein, aber war es wirklich eine Niederlage für den Front National, immerhin erhielt sie beinahe elf Millionen Stimmen?
Denis Godard: Nach der ersten Runde der Wahl trat Le Pen als Vorsitzende des FN zurück, weil sie sich als Kandidatin aller Franzosen und Französinnen darstellen wollte, und nominierte einen Hardliner für die Position, der nahezu offen als Faschist auftritt. Das verbreitete sich auch in den Medien und war den Menschen bekannt. Der Bezug auf faschistische Traditionen führte auch zur Wahlniederlage. Diese wurde aber von Le Pen erwartet und bewusst in Kauf genommen.
Seit seiner Gründung ist der FN von einer Spannung geprägt: zum einen Respektabilität erreichen zu wollen und zum anderen die Partei zu stählen und Leute, die sie wählen, näher an sie heran zu ziehen. Es ist für die meisten eine große Hürde, den FN zu wählen. Durch Legitimierung bei Wahlen und durch respektables Auftreten kann die Hürde gesenkt werden und viele Menschen gehen mit ihrer Stimme einen Schritt auf den FN zu. Der FN versucht dann diese Leute weiter an sich und an faschistische Politik heran zu ziehen.
Marine Le Pen hat nach der gewonnen Legitimität in der ersten Runde daher direkt ein härteres Gesicht gezeigt. Das hat sie von ihrem Vater gelernt, der nach Erfolgen in den ersten Runden der Präsidentschaftswahlen immer wieder seine bekannten Aussagen, wie die Relativierung des Holocausts, brachte. Wie ihr Vater zuvor, verlor Marine Le Pen die zweite Runde der Wahlen zwar, nutzte sie aber, um das Umfeld des FN zu stählern.
Du glaubst also, dass der FN gestärkt aus der Wahl gekommen ist und Leute an den faschistischen Kern heran ziehen konnte?
Der Prozess ist natürlich nicht linear und besteht aus mehreren Schritten. Aktuell wird viel über eine Krise innerhalb des FN gesprochen, da es zurzeit einige Streitereien gibt. Die strategische Metamorphose, die der FN während einer Wahl durchmacht, ist auch eine Zeit der Schwäche mit verstärkter Spannung zwischen dem einen Lager in der Partei, das hofft mit Wahlerfolgen endlich an die Macht zu kommen und dem härteren Kern, der mehr das langfristige Projekt im Auge behält: eine Massenpartei aufzubauen, welche die gesamte Gesellschaft in ihren Griff nimmt.
Beim Versuch sich ein respektables Äußeres zu geben, frisst auch die FPÖ viel Kreide. Denkst du, dass der FN oder die FPÖ damit auch ihre Anziehungskraft als Oppositionspartei verlieren können?
Wer die führende Rolle als Oppositionspartei einnehmen wird, ob Mélenchon oder Le Pen, hängt davon ab, wer die Initiative ergreifen wird, wer von beiden mehr Ausdruck und Kristallisationspunkt für die Opposition zu Macron ist. Das ist auch unsere Chance, denn die Opposition besteht auf der einen Seite zwar aus dem FN, auf der anderen Seite allerdings aus Mélenchon und der Bewegung auf der Straße.
Letztes Jahr waren Millionen Menschen bei Demonstrationen und Streiks gegen die Arbeitsrecht-Verschärfung. Während des Wahlkampfes gab es zwischen Ende Jänner und Ende März eine Millionen Streiktage (auf etwa 30 Millionen Beschäftigte).
Wer die führende Rolle als Oppositionspartei einnehmen wird, ob Mélenchon oder Le Pen, hängt davon ab, wer von beiden mehr Ausdruck und Kristallisationspunkt für die Opposition zu Macron ist.
Mit welchen Strategien kann man den Front National konfrontieren?
Fünf der Acht gewählten Abgeordneten des FN kommen aus derselben Region: dem Norden Frankreichs. Diese Region ist traditionell industriell geprägt. Die Austeritäts-Politik hat zu einer explodierenden Arbeitslosigkeit geführt. Dazu gab es rassistische Kampagnen von der Regierung gegen die Flüchtlinge in Calais. In diesen Bedingungen konnte der FN sehr leicht Fuß fassen.
Aber wir sehen auch wie man den FN bekämpfen kann: es braucht zum einen eine linke Antwort auf Austerität und zum anderen Kämpfe gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Solidarität mit Flüchtlingen. Drittens muss der FN überall, wo er auftritt, direkt konfrontiert und bekämpft werden.
Du siehst also trotz des Aufstiegs des Front National viele Möglichkeiten, die Situation für die Linke zu nutzen?
Ja und es gibt auch einen Druck auf die Linke. Macron hat schon während des Wahlkampfes angekündigt das aktuelle Arbeitsrechtsgesetz, gegen das bereits 70% der Bevölkerung waren, nochmals zu verschärfen, notfalls per Dekret ohne Abstimmung im Parlament. Trotzdem lassen sich sogar die radikaleren Gewerkschaften auf Verhandlungen mit ihm ein. Was für ein Signal an Arbeiter_innen, nicht kämpfen zu wollen!
Aber es gibt Druck von unten. Die größte Gewerkschaft CGT hat bereits ein Streiktag mit Demonstrationen für den 12. September angekündigt. Man kann spüren, dass es keine Illusionen in die neue Regierung gibt. Es wird Widerstand und weitere große Konfrontationen geben.
Das Interview führte David Heuser.