Imperialismus steht hinter der Flüchtlingskatastrophe
Wären die Toten im Mittelmeer blond und blauäugig gewesen, hätte die Welt ganz anders reagiert“, meinte eine schwarze Bürgerrechtlerin bei einer Demo in Baltimore. Sie spricht damit wohl eine traurige Wahrheit aus. Rassismus ist noch lange nicht aus der Welt geschafft.
Der moderne Rassismus ist entstanden, um die Versklavung der Schwarzen zu rechtfertigen, die für die Entwicklung des modernen Kapitalismus unabdingbar war. Waren nach der französischen Revolution offiziell alle Menschen gleich an Rechten, musste eine Erklärung gefunden werden, warum man diese Menschen so behandeln durfte: Sie wurden als minderwertig und rückständig portraitiert. Diese Ideologie wirkt bis heute nach und wird immer wieder zementiert.
Rassismus soll uns spalten
Ähnlich wie Nationalismus spaltet Rassismus die Arbeiter_innenklasse und hindert sie daran, sich gemeinsam zu wehren. Das hat Karl Marx schon an den irischen Arbeiter_innen in England erkennen können.
Auf der Basis von Marx‘ Beobachtungen lassen sich drei Hauptbedingungen für Rassismus (auch unter Arbeiter_innen) ausmachen: Erstens werden Arbeiter_innen im Kapitalismus gegeneinander in Konkurrenz gebracht. Wenn etwa gelernte durch ungelernte Arbeiter_innen ersetzt werden und beide Gruppen zu unterschiedlichen Nationen, „Rassen“ oder Religionen gehören, kann es zu Konflikten kommen.
Zweitens kann Rassismus dem bzw. der einzelnen Arbeiter_in ein Gefühl von Überlegenheit oder Zugehörigkeit zu einer herrschenden Gruppe geben und so eine Art Opium darstellen. In Wahrheit drückt Rassismus immer auch die Löhne der Arbeiter_innen der Mehrheitsgruppe und nützt daher dem bzw. der „weißen“ Arbeiter_in nicht.
Drittens ist die ständige Propaganda der Herrschenden ein Faktor. Das kann man bei uns deutlich sehen, wenn man ein Boulevardblatt aufschlägt oder die Erklärungen in „Qualitätsmedien“ liest, dass wir halt leider nicht alle aufnehmen können.
Denken in Grenzen
Ein weiteres Symptom des Kapitalismus, ein weiterer ideologischer Motor hinter Krieg und Eroberung, ist der Nationalismus. Gemeint ist hier der Nationalismus der ökonomisch und militärisch überlegenen imperialistischen Mächte. Der Nationalismus unterdrückter Völker kann hingegen sehr fortschrittliche Aspekte haben.
In unserem Bewusstsein ist jedenfalls das Denken in Nationen und Grenzen tief eingeprägt. Das war nicht immer so und muss auch nicht immer so bleiben. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts haben die europäischen Herrscherhäuser damit begonnen, einheitliche Nationalstaaten zu errichten. Für den sich entwickelnden Kapitalismus wurde ein homogenes Staatsgebiet mit gemeinsamer Sprache und Verwaltung immer wichtiger. Parallel dazu wurden nicht-sesshafte Völker wie die Roma und Sinti grausam verfolgt.
Juden und Jüdinnen, die immer schon eine „internationale“ Gruppe gebildet hatten, wurden nun auch wegen ihrer „Nichtnationalität“ verfolgt. Im modernen Antisemitismus hat sich der „vaterlandslose Geselle“ als Begriff eingebürgert, im stalinistischen Nationalismus wurden die Juden und Jüdinnen als „Kosmopoliten“ gebrandmarkt. Die künstliche Identifikation mit einem Nationalstaat hat immer auch die Funktion, den Klassenkampf zu übertünchen und ein gemeinsames Interesse von Arbeiter_innen und Bossen derselben „Nation“ zu konstruieren.
Die Vorstellungen der Linken und der Arbeiter_innenbewegung von internationaler Solidarität steht diesem nationalen Denken diametral gegenüber. Die „heiligen“ Grenzen sind nur dann kein Hindernis, wenn die Kapitalisten Arbeitskräfte brauchen. So wurden die ersten Gastarbeiter_innen mit Blaskapellen empfangen, und deshalb setzen sich nicht wenige rechte Republikaner in den USA für erleichterte Immigration ein.
Verantwortung des Westens
Seit die herrschenden Klassen Europas, hauptsächlich durch Aneignung fremder Technologien, einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Weltreichen, wie etwa China, erreichen konnten, setzten sie diesen ein, um den Rest der Welt gnadenlos zu unterdrücken, zu berauben und auszubeuten. Unsere heutige kapitalistische Welt steht auf der Basis der Ausrottung der indigenen Bevölkerung des amerikanischen Kontinents, der Zerstörung der afrikanischen Hochkulturen und der Versklavung von Millionen.
Nach dem Ende des klassischen Kolonialismus blieben die Abhängigkeiten bestehen. Im arabischen Raum wurden nach dem Ersten Weltkrieg Grenzen mit dem Lineal gezogen, quer durch Bevölkerungs- und Stammesgrenzen und mitten durch religiöse Gemeinschaften. Zukünftige Konflikte waren damit vorprogrammiert. Wenn die jeweiligen Regierungen von sogenannten „Drittweltstaaten“ sich nicht folgsam genug zeigten, waren oft Bomben die Antwort.
Die Verschränkung von ökonomischen mit geostrategischen Interessen der Staaten nennen wir Imperialismus. Es ist jene Phase der kapitalistischen Entwicklung, in der wir uns befinden – wohl bis zum Ende dieses Systems. Und dieses Ende wird entweder zu einer neuen gerechteren Gesellschaftsordnung führen oder in eine Barbarei, gegen die die jetzigen unerträglichen Zustände noch harmlos wirken. Imperialismus, begleitet von islamfeindlichem Rassismus, steckt auch hinter den Kriegen und Besetzungen der jüngsten Zeit.
Imperialismus und Flucht
Mit den Angriffen auf Afghanistan und den Irak wurden neue Flüchtlingswellen ausgelöst. Der Krieg, das Chaos, das die Besatzung ausgelöst hat, Drohnenangriffe und der Terror der Milizen treiben die Menschen in die Flucht. In Afghanistan haben die USA die drogendealenden Warlords der Nordallianz an die Macht gebracht und damit viele Paschtunen zu den Taliban getrieben.
Im Irak sorgte die US-Besatzung mit ihrer Politik der „Irakisierung“ des Krieges, den Versuchen, den Widerstand zu spalten, für Spannungen zwischen Sunnit_innen und Schiit_innen und legte so den Grundstein für die Erfolge des IS. Später wurde die schiitische Regierung unterstützt, die die Sunnit_innen so lange drangsalierte, bis viele sich dem IS anschlossen. In dieser Region geht es natürlich um die Kontrolle des Erdöls.
Auch auf dem afrikanischen Kontinent stecken hinter vielen Bürgerkriegen der Hunger des Westens, Chinas und Russlands nach Rohstoffen, Edelmetallen, seltenen Erden oder „Blutdiamanten“. An Waffen für diese Konflikte herrscht kein Mangel. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, sind doch die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates gleichzeitig die größten Waffenhändler der Welt.
Chance für die Bewegung
Die Flüchtlingskatastrophe legt die Grausamkeit eines Systems offen, das den Reichtum und die Macht sehr ungleich auf der Welt verteilt hat. Doch im Moment scheint es, als hätte ganz normales Mitgefühl, ein Gefühl der Solidarität mit diesen bedrängten Menschen das propagandistische Dauerfeuer der Herrschenden kurzfristig durchbrechen können. Hunderttausende nahmen weltweit an Demonstrationen gegen diese Unmenschlichkeit teil.
Die extreme Rechte musste ihre menschenverachtenden Kommentare auf ihre internen Foren beschränken. Als vor Jahren in Österreich der Fall Arigona sogar die Kronenzeitung gezwungen hat, gegen eine Abschiebung zu schreiben, ist eine breite Bleiberechtsbewegung losgebrochen, die NGOs und verschiedene linke Gruppen zusammengebracht hat. So ein Widerspruch zwischen den Eliten und vielen „normalen Leuten“ kann eine riesige Chance für die antirassistische und antifaschistische Bewegung sein.
Kapitalismus abschaffen!
Wenn bei uns Arbeitsplätze verloren gehen und öffentliche Leistungen zurückgefahren werden, dann ist das nicht die Schuld von Migrant_innen, sondern die der Bosse und der Eliten. Gegen sie sollte sich der Zorn auch richten. Wir müssen dafür kämpfen, dass imperialistische Großmächte damit aufhören, die Lebensbedingungen in den „Entwicklungsländern“ zu verschlechtern, für volle Bewegungsfreiheit für alle Menschen und das Aus für alle Anhaltelager und Zwangsabschiebungen. Als Menschheit können wir es uns leisten, Flüchtlinge in ungefährlichen, sicheren Gegenden anzusiedeln.
Vor allem Rassismus hindert uns, so zu handeln wie es die ganz normale Menschlichkeit erfordert. Solange wir uns unter den Aspekten von Geschlecht, „Rasse“, Religion oder sexueller Orientierung spalten lassen, werden wir den Kapitalismus nicht stürzen können. Andererseits kann es ohne den Sturz des Kapitalismus kein endgültiges Ende der Spaltungen geben. Nur der gemeinsame Kampf für eine neue, gerechtere Gesellschaft kann die Menschen verändern, kann rassistische Ideen überwinden. Nur das Ende der Profitherrschaft und die globale Demokratisierung der Wirtschaft können Rassismus endgültig besiegen und Lösungen möglich machen, die es allen Menschen erlauben, in Sicherheit und Würde zu leben.