„In den Hotspots werden keine fairen Verfahren stattfinden“
Neue Linkswende: Die Europäischen Eliten reden in letzter Zeit immer wieder von „Hotspots“. Diese wären die Lösung für ihr Flüchtlingsproblem. Was kann man sich darunter vorstellen? Wie verändert sich dadurch die Lage von Flüchtlingen die nach Europa kommen?
Michael Genner: Dadurch, dass die Hotspots noch nicht existieren, kann man das noch nicht genau wissen. Der Plan ist, die Flüchtlinge nicht mehr über die Grenze zu lassen, sondern sie davor warten zu lassen, sei es direkt in den Krisengebieten, in der Türkei oder in sonst einem Vasallenstaat, der sich die Dienste bezahlen lässt. Das werden sich die Flüchtlinge aber nicht gefallen lassen.
Genauso wie sie bisher weitergezogen sind, werden sie es weiter machen. Die Schlepperkosten werden dementsprechend weiter steigen. Man müsste die Innenministerien und ihre europäischen Amtskolleg_innen fragen, wie hoch die Provision ist, die sie von den Schleppern bekommen.
„In diesen Hotspots finden keine fairen Verfahren statt, es gibt keinen Zugang zu Rechtsvertretung.“
Das rechtliche Gegenargument gegen diese Pläne ist, dass in diesen Hotspots keine fairen Verfahren stattfinden, es gibt keinen Zugang zu Rechtsvertretung. Das zentrale Prinzip der Waffengleichheit zwischen Asylsuchenden und dem Staat, das durch eine parteiische unabhängige Rechtsvertretung einigermaßen gegeben ist, gibt es da draußen natürlich nicht.
Was es geben kann und bisher auch gegeben hat, sind UNHCR-Einrichtungen. Die sind zwar auch mit Vorsicht zu genießen, aber wenigstens ist es der UNHCR. Das darf aber nicht die spontane Weiterflucht nach Europa ersetzen, sondern kann nur begleitend dafür sein.
Neben den Hotspots wurde mittlerweile das Grenzschutzprogramm Sophia in Gang gesetzt.
Das ist ein Militäreinsatz, mit deutschen Kriegsschiffen, die im Mittelmeer ernst machen. Ihre Aufgabe ist es, die sogenannten Schlepperschiffe zu versenken. Angeblich sollen die Flüchtlinge noch gerettet werden. Aber wahrscheinlich wird da kurzer Prozess gemacht. Es ist ein weiterer Versuch zu verhindern, dass Flüchtlinge nach Europa kommen.
Nachdem Österreich kurzzeitig die Grenze geöffnet hat, hätte man denken können die Regierung ändert ihre Asylpolitik. Doch jetzt rudert die Regierung zurück und plant eine Asylrechtsverschärfung und die Einführung von Asyl auf Zeit. Ändert sich dadurch viel für die Flüchtlinge?
Die Öffnung der Grenzen war natürlich auch ein Trick. Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn vor der österreichischen Grenze in Nickelsdorf Flüchtlinge verprügelt worden wären, wie in Ungarn, so auf Orbán-Art. Aber jetzt macht man Dublin-Verfahren gegen sie. „Wir sind eh menschlich und lassen sie rein“, aber nur um sie dann besser abschieben zu können.
Asyl auf Zeit ist noch nicht beschlossen, darum wird man es sich noch anschauen müssen, wie das konkret gehandhabt wird, aber verbessern wird es die Lage der Flüchtlinge wahrscheinlich nicht. Asyl auf Zeit, ist eine Anpassung an den jetzigen „subsidiären Schutzstatus“. Subsidiärer Schutz wird auch nur auf ein Jahr verliehen und dann ist um Verlängerung anzusuchen.
Die Beamten sind jetzt schon völlig überlastet. Ich bin wirklich der Letzte, der die Beamten in Schutz nimmt. Die jetzt eh schon überlasteten Beamten zu zwingen, dass sie alle drei Jahre die abgeschlossenen Verfahren wieder aufmachen sollen, während schon die Nächsten vor der Tür stehen und um Asyl ansuchen, wie sich das ausgehen soll, weiß ich wirklich nicht. Man hält damit die Flüchtlinge in ständiger Unsicherheit und Angst. Bei der Verlängerung vom subsidiären Schutz haben wir manchmal schreckliche Dinge erlebt.
Besonders bei jenen Fällen wo der subsidiäre Schutz wegen Traumatisierung gegeben wurde. Ich erinnere mich an eine tschetschenische Familie, die hat aufgrund von Traumatisierung subsidiären Schutz erhalten. Dank der Therapien ging es ihnen nach einem Jahr wieder besser. Die Beamten meinten: „Jetzt geht’s euch ja eh schon wieder besser, jetzt können wir euch wieder abschieben.“ Man musste die Menschen, um die Abschiebung zu verhindern, quasi in der Krankheit halten.
Wir haben es mit Unterstützung der Volkshilfe geschafft, dass es ihnen wieder so gut gegangen ist, dass sie arbeiten konnten. Dann haben sie das Bleiberecht bekommen und nicht subsidiären Schutz erhalten. Das war natürlich eine Beamtin, die besonders boshaft war. Normalerweise geht es besser, aber mit Asyl auf Zeit könnte so etwas Normalität werden.
Auch der Familiennachzug ändert sich. Subsidiär Schutzberechtigte können nach einem Jahr ihre Familien nachholen. Jetzt soll das auf drei Jahre erhöht werden. Wenn ein Mann aus Syrien flüchtet, weil er am meisten gefährdet ist, beispielsweise weil er einberufen werden sollte, dann will er natürlich so schnell wie möglich seine Familie nachholen. Jetzt muss er darauf drei Jahre in voller Ungewissheit warten.