Das kapitalistische System zerstören, nicht das Klima!

Wegen der unmittelbaren Bedrohungen durch den Klimawandel kommen zunehmend Wissenschaftler_innen und Umweltaktivist_innen zu demselben radikalen Schluss: es braucht einen Systemwandel um die Zukunft der Menschheit und unserer Umwelt zu retten. Wie weit soll dieser Systemwandel gehen, damit wir die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hinter uns lassen können?
4. April 2017 |

Es ist erschreckend, wie unfähig sich die Staatenlenker gezeigt haben, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Seit den frühen 1990er-Jahren gilt es als gesichert, dass der Klimawandel durch die Wirtschaftsweise der Industriegesellschaften verursacht wird und, dass es ein baldiges Gegensteuern gebraucht hätte, um ein bedrohliches Ausmaß zu vermeiden.

Seither sind die Treibhausgas-Emissionen weltweit explodiert und wir haben das Zeitalter des Holozäns, gemeint sind die letzten 11.700 Jahre mit stabilem Klima, verlassen und das Anthropozän betreten. Hoffnungen auf eine vernünftige Lösung vonseiten der Mächtigen haben sich als naiv und völlig unbegründet herausgestellt.

Globales Handeln nötig

Unsere Ungeduld trifft aber nicht nur die herrschenden Eliten und ihre Unfähigkeit bereits zugesagte Maßnahmen zum Klimaschutz zu verwirklichen. Es bleiben die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen selbst weit hinter dem Nötigen zurück.

Das Notwendige scheint, weil es das bekannte System als Ganzes infrage stellt, undenkbar. Auf den ersten Blick muss es für den Großteil der Klimawissenschaftler_innen einfacher erscheinen, sich den Untergang der menschlichen Zivilisation vorzustellen, als sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass wir Kapitalismus zerstören und durch ein nachhaltiges System ersetzen werden müssen.

Verschiedene Szenarien zeigen das Absinken der CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre in ppm (Teilchen pro Millionen), wenn die Emissionen 2010, 2030 oder 2050 beendet würden. 350 ppm müssen unterschritten werden, um ein stabiles Klima zu bewahren. Maximal 280 ppm war der CO2-Gehalt vor der Industrialisierung um das Jahr 1800.

 

Dabei ist sich ja die Mehrheit der Klimawissenschaftler darin einig, dass es ein weltweit abgestimmtes Vorgehen braucht. Als Minimum muss eine global koordinierte Abkehr von fossilen Brennstoffen verlangt werden. Deren Ersatz durch andere Energiequellen und die dafür nötige Umstellung der Wirtschaft müssen selbstverständlich ebenfalls weltweit geschehen.

Klimawissenschaftler betonen, dass die Menschheit mit ihren Aktivitäten das neue geologische Zeitalter des Anthropozän gestalten müssen; über Jahrtausende, das ist nur in einer radikal demokratischen, sozialistischen Gesellschaft vorstellbar.

Regierungen sind keine Partner

Wie kann man von einem globalen Vorgehen im Kapitalismus ausgehen, wenn man sich ganz nüchtern das Hier und Jetzt ansieht? Trump will aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, die österreichische Regierung bekämpft das Urteil gegen die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat, das von der Regierung die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens einfordert.

Ist es angesichts dieser zur Schau gestellten Ignoranz wirklich klug, die Regierungen als Partner im Kampf für den Klimaschutz zu betrachten? Es ist klar, dass wir die Mächtigen dazu zwingen müssen, etwas zu unternehmen, solange wir sie nicht gestürzt haben und Kapitalismus losgeworden sind. „Ignorieren wir den Klimaschutz, solange wir nicht die Macht haben, ihn zu verwirklichen“, ist keine Option.

2 Grad – eine Katastrophe!

2016 hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Niveau dauerhaft um 1 Grad erwärmt. 2 Grad als „Klimaziel“ sind eine Anleitung zur Katastrophe, warnt einer der führenden Klimawissenschaftler, James Hansen aus den USA.

Zuletzt war es vor etwa 120.000 Jahren in der Eem-Warmzeit so heiß, der Meeresspiegel war 6 bis 9 Meter höher als heute. Wegen der aufgeheizten Ozeane gab es Superstürme und andere Wetterkatastrophen. Das Klimaziel von 1,5 Grad, zu dem sich die Regierungen in Paris eine nicht bindende Übereinkunft gaben, kam auf Druck von „Entwicklungsländern“ zustande, die schon jetzt unter den Folgen des Klimawandels leiden.

Lasst es im Boden

Das 2-Grad-Ziel wurde auf vergangenen Klimagipfeln gewählt, weil es bequemer ist, behauptet Hansen. 2 Grad war den Regierungen leichter schmackhaft zu machen, weil es ihnen Zeit gab, noch eine Weile nichts zu tun, aber das Ergebnis könnte katastrophal sein. Weil schon 2 Grad so riskant sind, ist die Forderung „Lasst es im Boden“ (das Öl!) auch so wichtig.

Ein hunderte Tonnen schwerer Felsbrocken, der durch Wellen eines Supersturms in der Eem-Warmzeit (rund 120.000 Jahre vor unserer Zeit) 20 Meter über die Küste der Insel Eleuthera auf den Bahamas geschleudert wurde. Foto: James Hansen, Earth Institute, Columbia University

 

Ginge es nach Trump und dem neuen Chef der US-Umweltbehörde Scott Pruitt, dann würde die kapitalistische Wirtschaft alle fossilen Brennstoffe verwerten, die derzeit noch im Boden liegen, dann erwarten die Wissenschaftler eine Temperaturerhöhung von acht Grad und mehr. Schon bei einer viel geringeren Erderwärmung ist keine Zivilisation mehr möglich.

Unwetter, Küstenverlust, Ernteausfälle und vieles mehr wären zu zerstörerisch. Strategien, die im Widerspruch zu „Lasst es im Boden“ stehen, und es den Regierungen und globalen Konzernen erlauben, weiter fossile Brennstoffe zu fördern, kann man getrost als unseriös ad acta legen.

Verbrecher nicht belohnen

Automobilhersteller kündigen die forcierte Produktion von Elektroautos an und Erdölkonzerne wollen Solaranlagen und alternative Energiequellen ausbauen. Das soll uns Hoffnung machen, dass schließlich die Vernunft Einzug in das kapitalistische System hält? Sollen wir vergessen, wer von der Zerstörung der Umwelt profitiert hat und wer die Zerstörung noch weiter forciert, obwohl schon längst alle Fakten am Tisch liegen?

Lösungsansätze, die jene Konzerne belohnen, die die Umwelt für Profite zerstört haben, müssen rundweg abgelehnt werden. Kanzler Christian Kern hat genau das vor, die Industrie soll mittels Förderungen dazu bewegt werden in Klimaschutztechnologien zu investieren. Wir haben aber keine Zeit darauf zu warten bis einzelne Konzerne im Klimaschutz ein Geschäftsmodell für sich entdecken, sondern wir müssen unsere gesamten industriellen Kapazitäten darauf ausrichten die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen zu beenden.

Keine Vernunft im Kapitalismus

Wichtiger als das moralische ist das politische Argument. Im Kapitalismus können wir uns nicht dazu befähigen, global zu planen und koordiniert zu agieren. Konkurrenz um Profite steht dem auf jedem Schritt im Weg. „Warum sollten wir als Erste CO2 einsparen“, ärgern sich die Kapitalisten. „Diejenigen, die es zuletzt tun, werden den Kampf um Profite gewinnen, wer vor den anderen seine CO2 Emissionen senkt, wird in Konkurs gehen!“ In etwa so argumentieren die Betreiber des Flughafens Wien-Schwechat.

Und das ist nicht einfach „falsches Denken“. Konkurrenz um Profite ist die dem Kapitalismus zugrunde liegende Logik und sein Motor. Das schlechteste für die Umwelt ist, wenn die kapitalistische Wirtschaft funktioniert, denn dann wächst sie Jahr für Jahr und tut das ohne Rücksicht auf kommende Generationen. Richten wir einen Blick auf die heikelsten Bereiche, dann wird das Bild noch deutlicher. Dass die Meeresspiegel steigen steht außer Zweifel. Wir werden Städte umsiedeln müssen und die größten Industrieareale der Welt.

Werktätige ans Ruder

„Wir werden nicht akzeptieren, dass unsere Arbeitsplätze ins Ausland exportiert werden, noch dazu ohne erkennbaren Nutzen für die Klimapolitik“. Just Innenminister Sobotka, unser kleiner Trump, hat Arbeiter_innen als Totschlagargument für den Ausbau des Wiener Flughafens ins Spiel gebracht! Und tatsächlich unterstützen Teile der Gewerkschaft den Ausbau des Flughafens. Das zeugt von katastrophaler Kurzsichtigkeit. Gewerkschaften brauchen keinen einzigen Arbeitslosen in Kauf nehmen. Sie müssen an der Seite der Umweltbewegung für die Schaffung hunderttausender „Green Jobs“ kämpfen, die es im Anthropozän braucht.

Arbeiter_innen müssen nicht nur ins Zentrum von Klimapolitik gestellt werden, sie selbst müssen sie umsetzen, indem sie den Regierungen und dem Kapital das Ruder aus der Hand reißen und selbst die Richtung der Entwicklung bestimmen. Am Weg dorthin müssen Klimaschutz und Kampf gegen Arbeitslosigkeit beziehungsweise für Klimajobs eine untrennbare Einheit bilden. Für jeden und jede potentielle Arbeitslose gibt es genug zu tun, alle können im Klimaschutz Beschäftigung finden.

Sämtliche Einsparungsmaßnahmen müssen durch Arbeit umgesetzt werden: ob wir Gebäude dämmen oder die Stromerzeugung umstellen, ob wir aufforsten oder den Verkehr auf die Schiene umstellen! Es gibt keine andere Kraft als die Arbeiter_innenbewegung, die Regierungen dazu zwingen könnte Klima-Jobs zu schaffen.

CO2-Budget ist nur mit Systemwandel einzuhalten

CO2-Budget ist nur mit Systemwandel einzuhalten

Und es werden diese sozialen Kämpfe, in welche die Bewegungen für die Klimarettung und für globale Gerechtigkeit zusammen fließen müssen, um aus der ständigen Defensive, in der die Gewerkschaften gedrängt wurden, in die Offensive für eine neue Gesellschaft übergehen können. Deshalb müssen wir alle Ökosozialist_innen werden!

Alle Artikel der Serie:

Anthropozän und Ökosozialismus sind ein Schwerpunkt am antikapitalistischen Kongress Marx is Muss von 5. bis 7. Mai im Wiener Amerlinghaus. Es sprechen Carla Weinzierl (System Change not Climate Change), David Heuser (Erdwissenschafter) und Manfred Ecker (leitender Redakteur von Neue Linkswende). Das gesamte Programm findest du hier.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.