Abschiebe-Deal: EU und Österreich schicken Afghanen in den Tod
Seit Sommer 2015 versuchte die EU ein Abschiebeabkommen mit Afghanistan abzuschließen. Besiegelt wurde der Deal jetzt am Rande der „Münchner Sicherheitskonferenz“. Diese Konferenz ist das größte jährlich stattfindende Treffen von Militärs, Rüstungskonzernen und (NATO-)„Sicherheitspolitikern“, also von jenen, die für die Verwüstungen in Afghanistan, Irak und anderswo verantwortlich sind. Dass das Abkommen ausgerechnet dort unterzeichnet wurde, ist für sich genommen schon eine ungeheure Provokation.
Die EU schätzt, dass sich um die 80.000 Afghan_innen „illegal“ (mit negativem Asylbescheid) in ihrem Territorium aufhalten. Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat wird jeder zweite afghanische Asylantrag abgelehnt. Die EU erkaufte sich die Zustimmung Afghanistans zum Deal mit 1,2 Milliarden Euro, also 15.000 Euro pro deportiertem Flüchtling. Vier Tage nach Unterzeichnung des Deals intensivierte Deutschland schon seine Abschiebungen.
Afghanistan ist kein sicheres Land
In Afghanistan herrscht ein brutaler Machtkampf zwischen Taliban, der afghanischen Regierung und Warlords. Zivilist_innen stehen zwischen den Frontlinien, alleine 2016 starben laut der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) rund 3.500 Menschen und weitere 8.000 wurden verletzt. Das Projekt Kosten des Krieges der Brown-Universität dokumentierte seit Beginn der US-Invasion 2001 über 31.400 getötete Zivilist_innen.
Sogar das österreichische Außenministerium erteilte eine Reisewarnung für das ganze Land und rät allen „in Afghanistan lebenden Auslandsösterreichern sowie Österreichern, die sich aus anderen Gründen in Afghanistan aufhalten“, dringend das Land zu verlassen. Nicht nur in Teilen, sondern „im ganzen Land“ bestehe „das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle“.
Warlord als Vizepräsident
Was für eine unfassbare Schweinerei sich in diesem Deal verbirgt, wird einem erst ganz bewusst, wenn man sich die afghanische Regierung und insbesondere ihren Vizepräsidenten Abdul Raschid Dostum anschaut. Er verstand es, seit dem Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan (1989) ein mächtiges Netzwerk aus Söldnern und Waffenhändlern aufzubauen. Von Massenmord über Folter bis hin zu organisierten Vergewaltigungen, die Liste der Menschenrechtsverletzungen, die ihm vorgeworfen werden, ist sehr lange. Wohl deshalb gehört er zu den besten Verbündeten des Westens.
Im November, 2001 als die Taliban vor Kunduz blutig zurückgeschlagen wurden, war er General in der afghanischen Armee. Nach der Schlacht ließ er hunderte gefangene Taliban-Kämpfer und angeblichen Unterstützer_innen in Containern einsperren und diese mit Erde überschütten, so dass seine „Feinde“ elendiglich erstickten. Er bestreitet das natürlich, Gerichtsverfahren oder Strafverfolgung gibt es keine, unter anderem deshalb, weil er damals auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes CIA stand – er erhielt 100.000 Dollar monatlich.
Erst jüngst machte er wieder von sich Reden, als er in seiner Funktion als Vizepräsident seinen Männern den Auftrag gab, einen politischen Gegner zu entführen, der angab verprügelt und vergewaltigt worden zu sein.
Taliban auf dem Vormarsch
Die Macht der Taliban nimmt zu, nicht zuletzt wegen des Versagens der Regierung und des Westens. Laut der US-amerikanischen Zeitschrift The Long War Journal kontrolliert die afghanische Regierung gerade einmal 83 von 407 Bezirken vollständig. Die restlichen Bezirke sind umkämpft und/oder werden von anderen Kräften wie den Taliban, dem IS, Warlords und anderen kontrolliert.
Als der Bericht Anfang Februar veröffentlicht wurde, war die Provinz Helmand noch in fester Hand der Regierung. Helmand gilt als eine der wichtigsten Provinzen unter anderem deshalb, weil es das Hauptanbaugebiet für Opium – eine der wichtigsten Einnahmequellen für Taliban, Drogenhändler und auch die Regierung. Die Nato investierte einen Großteil ihrer militärischen und finanziellen Kräfte in den Aufbau dieser Provinz. Mitte Februar begannen die Taliban eine erneute Offensive in der Region, weite Teile der Provinz stehen jetzt unter ihrer Kontrolle.
Abschiebung ins ungewisse
Eigentlich schiebt die EU nur in die Hauptstadt Afghanistans Kabul ab. Sie baut sogar einen eigenen Terminal für Abschiebeflüge am Hamid Karzai-Flughafen. Aber auch in Kabul kommt es regelmäßig zu Anschlägen. Die EU behauptet nur in sichere Provinzen abzuschieben.
Der durchschnittliche Referent im Bundesamt für Asyl (BFA) beschäftigt sich, bei der Menge an Asylanträgen die er zu bearbeiten hat, wohl kaum intensiv mit den Herkunftsregionen der Flüchtlinge. Selbst wenn er das tut, wie man am Beispiel Helmand sieht: Die Lage in Afghanistan ändert sich so schnell, das niemand und ganz sicher kein europäischer Asyl-Beamter den Überblick hat. In einer Provinz, die zum Zeitpunkt des abgelehnten Asylantrags noch als relativ sicher galt, kann schon zwei Wochen später Bürgerkrieg herrschen.