Tausende gegen antimuslimischen Rassismus: Pegida in Wien lief nicht!

Pegida machte in Wien bei ihrem ersten Aufmarschversuch keinen Meter. Die Zeit für die gewaltbereiten Neonazis ist auf den Straßen noch nicht gekommen. Das Zusammenkommen von antirassistischer und antifaschistischer Bewegung nach den beeindruckenden Protesten gegen den FPÖ-Burschenschafterball bereitete Pegida in Österreich eine vorzeitige Niederlage.
3. Februar 2015 |

Die erste Pegida-Demonstration am 2. Februar 2015 in Wien war nichts anderes als eine Versammlung von insgesamt knapp 400 heimischen Rechtsextremen, Konservativen und Verschwörungstheoretikern.

Der bekannte Rechtextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller schätzte darunter etwa 120 bis 150 deklarierte rechte Fußballhooligans des Umfelds von Unsterblich Wien beziehungsweise Eisern Wien, daneben einige Identitäre, diverse Olympia-Burschenschafter – mit ihrem prominentesten Vertreter, dem ehemaligen dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf – und Anhänger des Neonazis Gerd Honsik. Sie skandierten „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude!“, streckten die Hände zum Hitlergruß und schwenkten deutsche Reichsfahnen.

Marschiert ist Pegida keinen Meter. Sie waren von der Polizei eingekesselt. Auf der anderen Seite 7.000 Gegendemonstrant_innen unter dem Banner von #NOPEGIDA, also etwa 20 Mal so viele Menschen als bei Pegida, die bunt, laut und sichtlich gut gelaunt durch die Wiener Innenstadt zogen. Einigen Antifaschist_innen gelangt es, den Abmarsch von Pegida über zwei Stunden zu blockieren, ehe die braune Ansammlung von der Polizei aufgelöst wurde.

„Auffallend war, dass viele Musliminnen und Muslime als rassistisch Diskriminierte mit auf der Demo waren“, bemerkte Cato, die extra aus Salzburg zum Protest angereist war. „Es ist wichtig, dass die Betroffenen sichtbar mit protestieren und nicht eine privilegierte Gruppe für eine andere stellvertretend agiert.“ Viele Menschen brachten selbstgebastelte Schilder mit: „Islam ist Daham“ oder „Menschenrechte statt rechte Menschen“. Am Fronttransparent „Gegen antimuslimischen Rassismus – #NOPEGIDA“ marschierten die Präsidenten der großen muslimischen Dachverbände in Österreich.

Pegida-Sprecher live gedemütigt

Nachdem der Pegida-Aufmarsch gestoppt war, wurden deren Sprecher Georg Immanuel Nagel und Martin Graf (FPÖ) in der Puls 4-Sendung „Pro und Contra“ vor tausenden Fernsehzuseher_innen völlig demontiert.

Junge Muslimas, die täglich die Diskriminierung am eigenen Leib erleben, saßen in erster Reihe im Publikum und bezichtigten Graf und Nagel, mit ihrer Hetze gegen Muslim_innen für die Gewalt verantwortlich zu sein. Publikumsgäste brachten frisch von den Demonstrationen kommend Schilder und Banner mit ins Studio. Zwei junge Frauen platzierten hinter einem sich verhaspelnden Graf ein Schild mit dem Spruch „Muslime und Flüchtlinge willkommen“, während die Regie den stammelnden Pegida-Sprecher Nagel mit eingeblendeten #NOPEGIDA-Plakaten blamierte.

Es war ein Genuss mitanzusehen, wie Martin Graf (FPÖ) und Pegida-Sprecher Georg Immanuel Nagel vor laufender Kamera gedemütigt wurden. Screenshots: Puls4

 

Mit versteinerter Miene waren die beiden Rechten einem Dauerbombardement der Sprecherin der Offensive gegen Rechts (OgR) Natascha Strobl, des ehemaligen grünen Nationalratsabgeordneten Karl Öllinger und des Politikwissenschafters Farid Hafez ausgesetzt. Beide haben sich gewunden, wollten von Nazis nichts gehört und nichts gesehen haben, selbst als ihnen die Bilder mit Hitlergrüßen groß vorgespielt wurden. Als Natascha Strobl dem Pegida-Sprecher nochmals ein Bild mit eindeutigem Gruß entgegenhält und dieser meint, „So etwas hat nicht stattgefunden“, bricht im Studio Gelächter aus. Die fabelhafte Offensive der Bewegung fand ihren Weg von der Straße ins Puls 4-Studio.

Bewaffnete Straßenbewegung

Pegida hatte in Österreich von Anfang nur mäßige Erfolgsaussichten. Auf der einen Seite, so meinte etwa der Politikwissenschafter Benjamin Opratko, gingen die Pegida-Organisatoren nur mit „mäßigem Geschick“ vor, „sowohl was die Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene, als auch was die Herstellung einer brav-bürgerlichen Fassade betrifft“. Auf der anderen Seite deckt die FPÖ mit einer massenhaften Wählerbasis seit Jahren gerade jene Forderungen ab, die Pegida in Dresden auf die Straße trägt. Der blaue Parteichef Heinz-Christian Strache sagte richtigerweise, dass die FPÖ „die wahre Pegida“ im Parlament sei.

So ekelhaft die Aufmärsche sind – sie sind nicht neu. Faschismus setzt seit jeher auf einen parlamentarischen, „respektablen“ Flügel und einen außerparlamentarischen, bewaffneten. Ungeduldige, gewaltbereite Faschisten versuchten seit der Hysterie um den Terror des „Islamischen Staates“ und den Anschlägen auf Charlie Hebdo mehrmals ihr (Un)glück auf den Straßen – und erlebten, so wie die Identitären im Mai 2014, einen Rückschlag. Die Zeit ist noch nicht reif.

 

Allerdings bot sich uns ein ekelhafter Vorgeschmack, wie gefährlich so eine Bewegung sein kann. Nazi-Schlägertruppen lauerten nach der Pegida-Kundgebung Menschen in Seitenstraßen auf, um sie zu attackieren. Eine Aktivistin der Offensive gegen Rechts musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden, mehrere Aktivist_innen berichteten von „Hinterhalten“ und leichten bis schweren Verletzungen.

Muslimas erstatteten Anzeige gegen Pegida-Teilnehmer, die ihnen in der Nähe des Stephansplatzes gedroht hatten, die „Kopftücher herunterzureißen“, sie „zu erschießen“ und die „Köpfe abzuschneiden“. Ein Augenzeugenbericht schildert wiederum eine Situation am Judenplatz: „An die zehn serbischen Nazis haben zwei Demonstranten am Heimweg verprügelt. Einer lag am Boden und wurde mit Tritten (auch gegen den Kopf) eingedeckt … Das erinnert an die Pogrome der SA in den 1920ern.“

Respektables Mäntelchen

„Wir wollen diese Leute nicht“, wurde Martin Graf in der Puls4-Diskussionssendung nicht müde zu betonen. Er kam, wie er selbst sagte, extra als „Beobachter“ zu Pegida, und doch wollte er nichts gesehen und gehört haben. Er jammerte weiter, offensichtlich um sich vor Strache für seine Teilnahme am Pegida-Aufmarsch zu rechtfertigen, und meinte, er könne sich in den letzten 30 Jahren an überhaupt „keine Demonstration der Freiheitlichen Partei auf der Straße“ erinnern.

Das ist natürlich ganz offensichtlich Schwachsinn, denn die FPÖ hat eine Reihe von Protesten mit organisiert, etwa gegen islamische Kulturzentren oder zuletzt gegen eine geplante Imam-Schule in Wien-Simmering. Aber davon ließ man auch schnell wieder die Finger, als bei diesen Veranstaltungen immer die halbe gewaltbereite Neonazi-Szene anrückte.

Es darf jedoch auch nicht verwundern, dass sich ausgerechnet Martin Graf die Pegida-Demo nicht nehmen ließ, gilt er doch als das Aushängeschild für die übermütigen deutschnationalen Burschenschafter, die Strache mit der Übernahme der Partei 2005 wieder in alle führenden Parteifunktionen hievte. Geschicktere Parteikader wie Johann Gudenus oder Herbert Kickl scheinen weitaus besser als Martin Graf zu verstehen, die Massenpartei von diesen Leuten fernzuhalten – zu sehr ist man um das respektable Image bemüht, das ihnen Wählerstimmen sichert. Strache dürfte mit Martin Grafs Alleingang wohl keine Freude haben.

Betroffene von Rassismus wehrten sich

Nach den Protesten gegen den FPÖ-Burschenschafterball war die Demonstration gegen Pegida die nächste beachtliche Mobilisierung der Offensive gegen Rechts (OgR) – dieses Mal zusammen mit den großen muslimischen Dachverbänden in Österreich. Der Erfolg war über zwei Seiten gesichert: Burschenschafter wie Martin Graf oder Pegida-Sprecher Nagel werden heute bei jeder guten Gelegenheit nicht als „besorgte Bürger“ und „legitime Gesprächspartner“ behandelt, sondern wurden sogar im Fernsehen als „Rechtsextremisten“ gebrandmarkt. Das haben wir den Protesten zu verdanken.

Auf der anderen Seite hatte Pegida bereits in dem Moment verloren, als sich jene zu wehren begannen, auf die sie eigentlich treten wollten. Rami Ali, Sprecher der Muslimischen Dachverbände, meinte in seiner Rede: „Wir lassen nicht zu, dass Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Wir lassen nicht zu, dass Medien und Politiker einen Keil zwischen den Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft schlagen.“ Mit der Beteiligung der Opfer von antimuslimischen Rassismus an den Gegenprotesten ging der Schuss von Pegida nach hinten los. Die antirassistische Bewegung verschmolz mit der antifaschistischen.

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Diese Zusammenarbeit zwischen muslimischen und antifaschistischen Organisationen ist ein gewaltiger Fortschritt, der noch vor wenigen Tagen so nicht denkbar gewesen wäre. Für Außenstehende ist es völlig einleuchtend, dass wir den Widerstand weiter einen müssen. Für Menschen, für die Beschimpfungen und Demütigungen Alltag sind, ist es allerdings nicht selbstverständlich gegen Ungerechtigkeit aufzustehen. Darum müssen wir Muslim_innen, Flüchtlingen und anderen die Hände ausstrecken und dieses zarte Pflänzchen der Zusammenarbeit gut hüten.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.