Christine Buchholz: „Die Widersprüche in der AfD verstärken“

Während die Flügelkämpfe in der AfD immer heftiger werden, sind ihre Umfragewerte in den letzten Wochen gesunken. Doch das ist kein Grund zur Entwarnung, meint Christine Buchholz. Im marx21-Interview erklärt sie, worum es bei dem Konflikt zwischen Petry und dem Höcke-Flügel eigentlich geht und mit welcher Strategie wir die rechten Hetzer stoppen können.
23. April 2017 |

marx21: Seit der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident vergeht kaum ein Tag ohne neue schockierende Nachrichten aus dem Weißen Haus. Mit Marine Le Pen in Frankreich wird wohl in diesem Frühjahr auch in unserem Nachbarland Frankreich eine rassistische Hetzerin ein Rekordergebnis erzielen. Bei uns droht die AfD mit zweistelligem Ergebnis in den Bundestag einzuziehen. Ist der Rechtsruck unaufhaltsam?

Christine Buchholz: Momentan werden in vielen Ländern rassistische Demagogen bis hin zu Faschisten nach oben gespült. Das ist gefährlich. Aber es gibt auch eine gewaltige Gegenbewegung. Die Proteste in den USA gegen Trump waren die größten seit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, wenn nicht sogar aller Zeiten. In London gingen Zehntausende gegen Trumps geplanten Besuch in Großbritannien auf die Straße. Und auch in Deutschland wird es Proteste geben, wenn Trump zum G20-Gipfel nach Hamburg kommt.

Viele erkennen die Gefahr, die von den rassistischen Hetzern ausgeht. Und viele wollen dagegen etwas tun. Deshalb würde ich auch nicht von einem Rechtsruck sprechen. Was wir erleben ist vielmehr eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung. Der neoliberale Konsens der Herrschenden bröckelt und sie können nicht mehr weitermachen wie gewohnt. Die Situation ist einerseits brandgefährlich, weil rassistische Gewalt zunimmt und auch die reale Gefahr einer faschistischen Bewegung wieder wächst. Aber die Unzufriedenheit mit dem Status quo bietet auch Chancen für die Linke.

Siehst du das auch für Deutschland so?

Ja, auch in Deutschland erleben wir eine Polarisierung. Dazu zählt der Aufstieg der AfD, aber auch die Millionen Menschen, die sich solidarisch mit Geflüchteten zeigten und die großen Gegenbewegungen, die das weitere Ausgreifen der Pegida-Bewegung gestoppt haben. Dasselbe brauchen wir jetzt im Kampf gegen die AfD: eine Massenbewegung, die in der Lage ist, sie zu stoppen, bevor sie so stark wird wie der Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich und sie sich so festgesetzt hat, das jeder Widerstand wesentlich schwieriger wird.

Seit der Dresdner Hetzrede von Björn Höcke ist die AfD wieder in aller Munde. Zahlreiche Medien und Politiker zogen einen direkten Vergleich zur Rhetorik der Nationalsozialisten und stellten Höcke in eine Reihe mit Hitler und Goebbels. Ist die AfD auf dem Weg zur Nazipartei?

Noch ist die AfD keine faschistische Partei, wie etwa die NPD, aber sie hat das Potenzial, dazu zu werden – und das mit wesentlich größerem Einfluss als ihn die NPD je hatte. Die AfD ist nach wie vor eine Sammlung verschiedener rechter Strömungen — von marktradikalen Nationalkonservativen wie Jörg Meuthen, völkisch-nationalen Rechtspopulisten wie Frauke Petry, bis hin zu Neofaschisten wie Björn Höcke. Alle Flügel haben gemeinsam, dass sie in der AfD eine historische Chance sehen, aus der gesellschaftlichen Nische der radikalen Rechten auszubrechen.

Bislang ist die Radikalisierung ungebrochen. Obwohl Höckes Nazi-Rede mit Sicherheit einige bürgerlich-rechtskonservative Anhänger der AfD verschreckt hat, wird Frauke Petry mit dem Versuch scheitern, Höcke aus der Partei auszuschließen. Bei den Aufstellungen der Landeslisten für die Bundestagswahl musste der Flügel um Petry mehrere herbe Niederlagen gegen Höcke-Unterstützer einstecken.

Woran machst du fest, dass Höcke ein Faschist ist, Petry aber nicht? In ihrem Rassismus, Nationalismus und völkischen Denken nehmen sie sich nicht viel.

Das stimmt, Petry ist keineswegs weniger rassistisch in ihrer Hetze gegen Geflüchtete und Muslime. Auch sie vertritt einen völkischen Nationalismus. Aber ihr Ziel ist es, die bürgerliche Politik nach rechts zu verschieben und nicht sie zu stürzen. Sie will eine rechtsnationale Kraft im Parteienspektrums etablieren und will mittelfristig eine Regierungsbeteiligung der AfD als Koalitionspartner der Union. Deshalb distanziert sie sich taktisch von Höckes Nazi-Parolen.

Höcke und sein Flügel setzen hingegen auf eine „fundamentaloppositionelle Bewegungspartei“. Sie verfolgen eine Strategie, die ich als neofaschistisch bezeichnen würde. Gestützt wird dieser Flügel von Alexander Gauland, der betont, die „Politik bis auf’s Messer bekämpfen“ zu wollen.

Was macht eine neofaschistische Strategie aus?

Neofaschisten sind Nazis im Tarnmantel. Da ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus politischer Selbstmord wäre, versuchen Faschisten seit dem Zweiten Weltkrieg, aus der Schmuddelecke herauszukommen, indem sie sich ein nationalkonservatives Mäntelchen umhängen.Statt auf den Hitler-Faschismus beziehen sie sich auf einen seiner ideologischen Vorläufer und Wegbereiter, die sogenannte Konservativen Revolution. Das macht sie nicht weniger gefährlich. Im Kampf um die Macht verfolgt der Nazi-Flügel eine vergleichbare Strategie wie damals die NSDAP. Die Parlamente sind zwar ein Element darin, aber nicht das zentrale. Daher versucht er, Macht auf der Straße aufzubauen.

Höcke war der erste AfD-Politiker, der erfolgreiche Straßenproteste organisierte. Die AfD bezeichnete er als „letzte friedliche Chance für unser Vaterland“ — eine implizite Androhung von Gewalt, sollte sie nicht auf „friedlichem“ Weg an die Macht gelangen. Höcke zeichnet das Bild einer allmählichen mutwilligen Zerstörung von „Nation“ und „Volk“, die nur durch eine neue nationale Bewegung gestoppt werden kann. Das unterscheidet sich von der parlamentarischen Strategie, die Petry verfolgt.

Petry hat Höcke nach seiner Dresdner Rede öffentlich scharf kritisiert und versucht nun, ihn aus der Partei auszuschließen. Auch im Zuge der Listenaufstellungen für die Bundestagswahl spitzen sich die Flügelkonflikte zu. Zerlegt sich die AfD gerade selbst?

Nein, die AfD wird sich nicht selbst zerlegen. Die teils heftigen Flügelkämpfe haben die Entwicklung der AfD von Beginn begleitet an. Nachhaltig geschwächt hat sie das bislang nicht. Der größte Fehler wäre es, tatenlos zuzusehen, wie die AfD Hass auf Muslimas und Muslime und Geflüchtete sowie Sexismus und Homophobie schürt und so versucht, die Gesellschaft nach rechts zu drängen.

Die Verharmlosung der neofaschistischen Rechten ist einer der Gründe für ihren Aufstieg in vielen europäischen Ländern. Man hält eine Partei wie den Front National, die FPÖ oder auch die AfD nicht auf, indem man sie einfach als besonders rassistische Konservative oder Populisten abtut. Das hat in Österreich und Frankreich nicht geklappt und wird auch in Deutschland nicht funktionieren.

Wie stoppen wir sie dann?

Es ist wichtig, von außen Druck auf die AfD zu machen und so ihre internen Widersprüche zu verstärken und sie von Teilen ihres „weichen“ Umfelds zu isolieren. Dazu müssen wir die AfD offen konfrontieren und wo immer sie auftritt breite antirassistische und antifaschistische Proteste organisieren.

Werten wir durch so eine offene Konfrontation die AfD nicht eher auf? Das hilft ihr doch nur, sich in die Opferrolle zu begeben.

Die AfD ist kein Opfer, sondern sie ermuntert rechte Gewalttäter. Wenn wir sie gewähren lassen, führt das dazu, dass Muslimas, Juden, Geflüchtete, Zugewanderte und alle, die nicht in das Weltbild der AfD passen, immer häufiger Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sind. Auch die Angriffe auf Antifaschistinnen, Antirassisten, Linke und Gewerkschafter nehmen zu.

In dem internen Strategiepapier der AfD „Manifest 2017“ wird beschrieben, wie wirkungsvoll die vielfältigen Proteste und Aktionen gegen die AfD sind: Sie führten zu Frustration bei aktiven Parteimitgliedern. Außerdem trügen Störaktionen „in der Öffentlichkeit, vor allem in der Mittelschicht und bei Interessengruppen zum Eindruck bei, dass die AfD ein Stigma trägt und man sich nicht mit ihr zeigen sollte.“ Die AfD nimmt sich zwar vor, die Opferrolle stärker auszuspielen, aber sie will in Nordrhein-Westfalen ihre Wahlkampfveranstaltungen und -stände in Zukunft stärker geheim halten. Das ist der gemeinsame Erfolg eines vielfältigen Protestes.

In dem Strategiepapier rühmt sich die AfD als „Tabubrecherin“ und spricht von „sorgfältig geplanten Provokationen“. Fallen wir nicht auf ihre Masche rein, wenn wir auf jede rassistische Forderung und jeden völkischen Spruch mit Empörung reagieren?

Wenn rassistische Hetze, Geschichtrevisionismus und indirekte Gewaltaufrufe unwidersprochen bleiben, wird die AfD indirekt bestätigt. Unser Problem ist ja nicht, dass zu viele der AfD klar widersprechen würden, sondern dass CDU und SPD deren Forderungen übernehmen und ihr damit letztlich doch recht geben.

Wie meinst du das?

Die Bundesregierung hat eine Asylrechtsverschärfung nach der anderen durchgesetzt. Jetzt stehen Massenabschiebungen bevor, genau wie es die AfD fordert – unter anderem in Kriegsgebiete wie Afghanistan. Einige Unionspolitiker, allen voran Horst Seehofer, haben sich in einen direkten Wettstreit mit der AfD in Sachen Rassismus gegen Geflüchtete und Muslime begeben. Gerade der antimuslimische Rassismus ist weit über den Kreis der AfD-Sympathisanten hinaus salonfähig. Die Bundesregierung kritisiert Trump für den „Muslim Ban“ und diskutiert gleichzeitig über ein Verbot der Vollverschleierung. Sie kritisiert die von Trump geplante Mauer an der mexikanischen Grenze und schließt gleichzeitig Pakte mit Diktatoren und Autokraten, um Geflüchtete von Europa fernzuhalten oder sie im Mittelmeer ertrinken zu lassen.

Du argumentierst dafür, stärker das Bündnis mit den von Rassismus Betroffenen zu suchen. Allerdings vertreten einige migrantische oder muslimische Verbände auch ziemlich konservative Ideen, oder?

Ich halte es für selbstverständlich, Solidarität mit allen zu üben, die von Rassisten angegriffen werden. Das gilt nicht nur für diejenigen, die linke oder progressive Ideen vertreten. Wenn wir uns spalten lassen, dann überlassen wir den rassistischen Hetzern das Feld.

Es ist ein großer Fortschritt, wenn sich muslimische Gemeinden und Organisationen an Protesten und Bündnissen gegen Rassismus beteiligen, denn wir sollten nicht über sie reden, sondern mit ihnen. Nur so kann die Erfahrung des Rassismus Menschen zugängig gemacht werden, die sie selbst nicht machen. Das stärkt die Bewegung gegen die AfD. Das gemeinsame Eintreten gegen rassistische Unterdrückung und für Religionsfreiheit ist zudem eine Chance, den Einfluss reaktionärer politischer Strömungen unter Muslimen zurückzudrängen.

Aber ist es klug, auch mit Abschiebeparteien wie der SPD zusammen gegen Rassismus kämpfen zu wollen, wie es das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ macht?

Richtig ist, dass SPD und auch Grüne durch ihre repressive Flüchtlingspolitik eine Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe an den EU-Außengrenzen und im Mittelmeer tragen. Der AfD spielt diese Politik in die Hände, weil sie dazu beiträgt, Geflüchtete und Zugewanderte als Gefahr darzustellen. Richtig ist auch, dass der Rassismus der sogenannten Mitte den Aufstieg der AfD erst möglich gemacht hat. Die SPD hat es nicht fertiggebracht, Thilo Sarrazin auszuschließen, obwohl der den antimuslimischen Rassismus salonfähig machte, mit dem nun die AfD punktet. Falsch ist es hingegen, SPD und Grüne deshalb als rassistisch zu brandmarken und sie vom Kampf gegen die AfD ausschließen zu wollen.

Warum?

Wenn wir uns im Kampf gegen die AfD auf den Kreis derer beschränken, die rassistische Strukturen als Ganzes ablehnen, werden wir wenige bleiben. Viele Menschen, die vom offenen Rassismus der AfD angewidert sind und bereit wären, dagegen aktiv zu werden, sind nicht gegen Grenzen und stellen eine Einteilung in „Staatsbürger“ und „Ausländer“ nicht grundsätzlich infrage. Um die AfD zu isolieren, sind es aber gerade diese Menschen, die wir für eine antirassistische Offensive gewinnen müssen. Das können wir nicht, indem wir sie als Rassisten beschimpfen. Nur im gemeinsamen Kampf lassen sich rassistische Denkmuster und die dahinterstehenden gesellschaftlichen Strukturen überwinden.

Das ist doch total widersprüchlich. Auf der einen Seite die SPD dafür zu kritisieren und dann mit ihr zusammenzuarbeiten…

Nein, es wäre fatal, SPD und Grüne vom antirassistischen Kampf auszuschließen, wie mache radikale Linke das fordern. Die üblichen Verdächtigen werden nicht die Mobilierungskraft entwickeln, die nötig ist, um die AfD zu stoppen. So gingen in Münster Mitte Februar etwa 10.000 Menschen gegen die AfD und den Besuch von Petry auf die Straße. Die Proteste konnten nur so groß werden, weil sie von einem breiten Bündnis getragen wurden.

Aber besteht dann nicht die Gefahr, dass DIE LINKE als Teil des politischen Mainstreams wahrgenommen wird und die AfD als die „einzige echte Oppositionspartei“, wie sie es von sich behauptet?

In Bündnissen gegen die AfD geht es darum, gemeinsam zu mobilisieren. Das ist eine zentrale Aufgabe des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus, an dem DIE LINKE auch beteiligt ist. Aber ein liberaler Antirassismus allein wird die AfD nicht stoppen. Natürlich müssen über die beschlossenen gemeinsamen Ziele hinaus weitergehende Positionen vertreten werden können. Auf der Berliner Demonstration gegen die AfD am 3. September sind auch Rednerinnen und Redner aufgetreten, die die Asylrechtsverschärfungen angegriffen haben. Aber eben nicht nur solche. Wenn aber DIE LINKE eine Zustimmung zu ihren Positionen zur Eintrittsbedingung für das Bündnis machen würde, schlösse sie Akteure etwa aus dem Bereich von Gewerkschaften, SPD, Grünen und viele andere aus.

In Bündnissen geht es darum, sich darüber zu verständigen, wie und wann die AfD geschlagen werden kann. Aber es ist auch entscheidend, eine linke Alternative sichtbar zu machen. Die Aufgabe der LINKEN ist es, die Ängste und Verunsicherungen, die nach rechts kanalisiert werden, auf die eigentlichen Gefahrenquellen zu lenken: den Kapitalismus, seine Krisen und die damit verbundenen sozialen Missstände und Unsicherheiten. Dafür müssen wir die Bundesregierung und die neoliberalen Parteien scharf angreifen.

Wie kann die LINKE das machen?

DIE LINKE muss beides tun: aktiver Motor einer lokal verankerten und bundesweiten handlungsfähigen antirassistischen Massenbewegung sein und gleichzeitig sichtbar bleiben als antikapitalistische Protestpartei, die in sozialen Kämpfen verankert ist. Das wird in den kommenden Monaten bedeuten, sowohl als linke politische Alternative aufzutreten, als auch Teil der antirassistischen und antifaschistischen Mobilisierungen zu sein.

Christine Buchholz ist Mitglied des Parteivorstands der LINKEN und für die Partei aktiv im Bündnis Aufstehen gegen Rassismus. Das Interview ist zuerst auf marx21 erschienen. Die Fragen stellte Martin Haller.
Christine spricht auf der Auftaktveranstaltung des antikapitalistischen Kongresses Marx is Muss von 5. bis 7. Mai im Wiener Amerlinghaus zusammen mit Flüchtlingen aus unserer Mitte. Das gesamte Programm findest du hier.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.